Kulturpolitik: An der Basis V

Das Arbeitsjahr ergibt für den „Archipel“ keine beliebige Nummernrevue. Sowas wäre eine Art Anfängerstadium kulturell engagierter Leute, die eine Kulturinitiative zu etablieren versuchen.

Archipel: Laufende Diskurse als Programmgrundlage.

Kein Einwand! Es ist der Modus des Moments unter den lebhaften Fragen nach verfügbaren Budgets. Ich sehe Kulturinitiativen in der Region, die sich aus diesem Stadium nie herausbewegen. Das macht ein Genre deutlich, in dem die Person der Aktivistinnen und Aktivisten vorrangig ist. Eine Art von privater Salonkultur, zu der Publikum zugelassen ist, was sie öffentlich macht.

Mein Genre ist die Wissens- und Kulturarbeit in der Provinz, also abseits des Landeszentrums. Da hat die große Erzählung Vorrang. Sie ergibt sich aus einer zusammenhängenden Serie von Diskursen und Veranstaltungen, wird aus rationalen und künstlerischen Mitteln gebildet.

Für mich hat diese Art prozeßhafter Arbeit die gleichen Bedingungen wie das Schreiben meiner Gedichte. Ich muß zur jeweiligen Sache ein Vielfaches mehr wissen, als dann in den Schritten nach außen sichtbar wird.

Ein Jahresprogramm mit Beiträgen, wie sie sich eher zufällig ergeben, das wäre mir zu wenig. Sieht man von meinen inhaltlichen Interessen an den Themen selbst ab, hat dieser Modus zwei Aspekte, die ich für kulturpolitisch relevant halte. Der eine Aspekt kommt aus meinen jungen Jahren. Damals stand der Systemforscher Frederic Vester für die Formulierung „Vernetztes Denken“. (Einige dtv-Paperbacks wie „Denken, Lernen, Vergessen“ hab ich heute noch.)

Durch die Effekte einer globalisierten Wirtschaft sowie durch unsere informationelle Umwelt, die aktuelle Mediensituation, machen wir markante Erfahrungen, wie sehr alles zusammenhängt und teilweise zusammenwirkt, ganz egal, wo auf der Welt es geschieht.

Zu diesem Augenmerk auf vernetztes Denken kommt für mich ein Formulierung aus der regionalen Kulturarbeit, die da – wenn ich mich recht erinnere – vor allem von engagierten Frauen geprägt wurde: Die Arbeit am ganzen Leben.

Das halte ich für grundlegend, wo Wissens- und Kulturarbeit wenigstens mittelfristig organisiert wird. Dieser zweite Aspekt hat eine stark praktische Komponente. Ich sorge dafür, daß im „Archipel“ kein Thema für sich allein steht und nur auf sich bezogen bearbeitet wird.

Jedes relevante Thema kann Schnittstellen erhalten, an denen es mit anderen verknüpft wird. Das bedeutet auch: Was wir im letzten Advent bearbeitet haben, unterfüttert mit seinen Ergebnissen schon nächste Schritte im kommenden Sommer oder Herbst. Unsere Arbeit ist also kein Kulturmanagement, sondern das Erzählen. Dabei kommen bloß gelegentlich auch Mittel des Kulturmanagements zur Anwendung.

Kulturmanagement? Nein. Erzählen!

Damit meine ich, jede unserer Anstrengungen ist zugleich auch schon ein konkreter Beitrag zu kommenden Vorhaben. Genau das bedeutet der eingangs formulierte Satz „Da hat die große Erzählung Vorrang.“ Deshalb auch dieses: „Sie ergibt sich aus einer zusammenhängenden Serie von Diskursen und Veranstaltungen, wird aus rationalen und künstlerischen Mitteln gebildet.“

Diese Verfahrensweise ist ihrerseits zugleich ein kulturpolitisches Statement, denn wir haben auf der Höhe der Zeit gute Gründe, nicht einfach alte Muster zu reproduzieren. Also etwa Spielarten einer (klein-) bürgerlichen Repräsentationskultur, die das einzelne Ereignis im Salon zelebriert, dabei aber über das antiquierte Begriffspaar „Volkskultur/Hochkultur“ seit Jahrzehnen nicht hinauskommt. Und das, obwohl sich diese Dichotomie als Erklärungsmodell längst erledigt hat.

Selbst die Sprachregelung „freie Szene“ halte ich heute für eine veraltete Begriffs-Krücke, mit der man sich zu ersparen versucht, den Status quo zu analysieren, zu beschreiben und zu benennen. Eine Arbeit, die noch vor uns liegt. (Fortsetzung)

+) Vorlauf: Kulturpolitik: An der Basis IV
+) Ein Feuilleton (Kulturpolitische Beiträge, laufende Debatte)

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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