April-Festival 2014: Brot & Kuchen

In meiner Kindheit war „Kuchen“ fast ein Synonym für „Oma“. Meine Mutter pflegte zu betonen, sie könne das nicht, während ihre Schwägerin, meine Tante Martha, ganz nach ihrer Mutter kam, eindeutig als Keks- und Kuchen-Champion galt.

Von links: Brachial-Radler Burn Hard, Karakuri-Künstlerin Kirsty Boyle und Experimental-Bäckerin Ida Kreutzer

Kuchen, das war eine Festtagsangelegenheit, avancierte freilich langsam zum Alltagsereignis. Ich vermute, das war ein weiteres Element in den Prozessen, durch die erst das Großbürgertum, schließlich auch der proletarische Teil des Volkes, Fragmente des aristokratischen Lebensstils kopierten.

Wer kennt nicht jenen Satz, welcher Marie Antoinette in den Mund gelegt worden war, wofür freilich solide Belege fehlen? Angesichts des hungernden Volkes, das auf dem Weg in die Französische Revolution den Mangel an Brot beklagte, soll sie gesagt haben: „Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen!“

Wie erwähnt, es fehlt jeder Beleg dafür, daß die Tochter Maria Theresias es tatsächlich gesagt habe, aber diese Schnurre drückt etwas aus, mit dem wir wohl alle vertraut sind. Fülle ohne jeden Mangel, ohne Beschränkung. Satt werden. Das Glücksgefühl durch die Geschmacksexplosionen süßer Wohltaten.

Was derartiges Begehren weckt, ist kaum zufällig Gegenstand einer der sieben Todsünden. „Gula“ ist die Völlerei, die Gefräßigkeit, als Ausdruck von Maßlosigkeit und Egoismus.

Meine Leute waren von ihren Kriegserfahrungen und durch Entbehrungen geprägt, kleinbürgerliche Figuren an der Kippe zum Proletariat. Da blieben der Kuchen, die Torte, blieben Kekse und Zuckerln den besonderen Anlässen vorbehalten.

Marie Antoinette mit Rose, Gemälde von Élisabeth Vigée-Lebrun (1783)

Kürzlich las ich in einem Text: „Es war ein völlig neues Erlebnis für mich: So einfach ohne besonderen Anlaß an einem normalen Nachmittag Kuchen zu backen und ihn einfach auch mir, die nicht mehr bei ihr wohnte, etwas davon zu geben, weil ich zufälligerweise vorbeigekommen bin.“

Das schrieb Satsuki Sakuragi aus Kawaguchi (Japan) mit Blick auf Europa in ihrer Dissertation „Vom Luxusgut zum Liebesbeweis: Zur sozialen Praxis und symbolischen Bedeutung des selbstgebackenen Kuchens“.

Im Kapitel „2A. Anlässe zum Kuchenverzehr“ las ich unter anderem: „Der Kuchenverzehr blieb nach dem Zweiten Weltkrieg noch eine Weile ein eindeutiger Luxus. Die Hauptgelegenheit für Feiern verlagerte sich zu dieser Zeit auf persönliche Anlässe, entsprechend wurde Kuchen immer mehr für den persönlichen Kreis angeboten.“

Davor hatte es schon geheißen: „Die Integration des Kuchenbackens als häusliche Tätigkeit der Mutter und Ehefrau von der Zwischenkriegszeit bis zum Nationalsozialismus…“, das Thema hat kontrastreiche Facetten.

Wer unter uns wüßte nicht auf Anhieb diese oder jene Geschichte zu erzählen, falls ich ausrufe: „Brot & Kuchen“?

Wir haben mit Experimentalbäckerin Ida Kreutzer schon spannende Sessions absolviert. Gastgeberin Jaqueline Pölzer hat beruflich mit Fragen des guten Geschmacks zu tun. Damit machen wir nun weiter.

Unsere heurige Station ist eine Gelegenheit, zwischen aktuellem Experiment und dem Ausleuchten einiger historischer Hintergründe zu pendeln.

— [April-Festival 2014] [Generaldokumentation] —

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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