Mobilitäten

Ich hab mein eigenes kleines Museum. Gut, das war jetzt noch etwas ungenau. Ich habe eine Sammlung. Die verzweigt sich gelegentlich in Ausstellungsräume. Ich habe also mein eigenes virtuelles Museum zur Mobilitätsgeschichte.

Der "Fardier" von Nicholas Cugnot in 1:43

Mein Kernthema ist dabei die individuelle Mobilität. Das ist gewissermaßen seit jeher ein Stoff unserer Träume. Schon in der griechischen Mythologie finden wir genau die Typen ziemlich exakt dargestellt, die uns noch heute um die Ohren fahren, gelegentlich um die Ohren fliegen.

Ich zähle mich ihnen zu. Wir sind Ikarier. Diese Zuschreibung nehme ich daher, daß nicht Daedalus der dominante Held unserer Kulturgeschichte wurde, obwohl er erfindungsreich, klug und maßvoll war. Daedalus ist der einfallsreiche Handwerker, Problemlöser, der Überlebende.

Sein Sohn Ikarus ist dagegen unvernünftig, hochfliegend, kurzlebig gewesen. Er schlug die Anweisungen seines Vater in den Wind, folgte seinen Emotionen und… starb jung. Aber er hat uns inspiriert. Verrückt, hm?

Die Geschichte unserer Mobilität hat soziale und kulturelle Implikationen, die andauernd in unserem Tun durchschimmern. Zuwendung, exzessive Nutzung, Verweigerung, stets stehen wir in Relation zu Vehikeln.

Historisch läuft das auch in der Frage nach Ladekapazität über die Begriffe tragen, schleifen und fahren: „Die Verwendung von Tragehilfen. Das Schleifen von Dingen, dem Kufen wuchsen und schließlich Räder wurden.“ Quelle: [link]

Krusche auf Kollisionskurs: Die Praxis der Ikarier

Kraftfahrzeuge waren in dieser Geschichte eine Erschütterung des 20. Jahrhunderts. Es wurde die wohl grundlegendste Änderung solcher Zusammenhänge, seit im zweiten Jahrtausend v. Ch. leichte Streitwagen mit Speichenrädern aufkamen.

In der jüngeren Vergangenheit war vermutlich Napoleons Reiterei eine der radikalsten Lektionen, was Mobilität bedeutet.

Hier in der Oststeiermark verknüpfen sich über die Fusion zweier LEADER-Regionen (Almenland und Energieregion = A+EG) gerade agrarische Welt, industrielle Lagen und urbanes Leben in einer Neudeutung.

Über welche Themenstellung mag eine Kulturinitative dieses komplexe Themenpaket fassen? Mobilität und Mobilitätsgeschichte machen das bestimmt möglich.

Kurz zurück zu meiner Kollektion. Ich habe gerade ein Modell des „Fardier“ (1769) von Nicholas Cugnot auftreiben können. Dieser Dampf-Traktor ist das erste gut dokumentierte Kraftfahrzeug Europas.

Später gilt der Motorwagen von Carl Benz als erster tauglicher Benziner unserer Geschichte, ebenso dreirädrig wir der Traktor von Cugnot. Ein Ruhmesblatt, an dem der in Österreich gebaute zweite Marcus-Wagen vorbeischrammte, weil Mechaniker Siegfried Marcus mit seinen unscharfen Datierungen erhebliche Konfusion geschaffen hatte.

Die Massenmobilisierung Europas auf der Basis von Kraftfahrzeugen erfolgte erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Die soziale Entwicklung dieses Phänomens ist mit keiner anderen Automobilmarke in direkter Abfolge so darstellbar wie mit einigen Wagen von Fiat.

Volksmotorisierung, von links: Fiata Balilla, Fiat 500, Fiat 600, Fiat nuova 500 und Fiat 126

Nach dem Balilla der Vorkriegs-Jahre war der Fiat 500 („Topolino“) als Volkswagen konzipiert, aber immer noch so teuer, daß er der Mittelschicht vorbehalten blieb. Mit dem Fiat 600 gelang der konstruktive Sprung Richtung preiswerter Massenproduktion.

Dem genialen 600er folgte der Fiat nuova 500, von dem auch Österreichs „Puch-Schammerl“ die Rohkarosse erhielt. Mit dessen Ablöse durch den kantigen Fiat/Steyr-Fiat 126 endete eine Kleinwagen-Ära. Der Mini von Issigonis setzte sich mit seinem neuen Layout durch.

Konkrete Anschauung ist eine probate Denkhilfe. Und sei es oft nur, daß Relationen erfaßbar werden. Ich werde also diese Stücke meiner Sammlung gelegentlich in unterschiedlichen Aufstellungen zeigen, um die dazugehörigen Geschichten zu erzählen.

— [Die Gefolgschaft des Ikarus] [Generaldokumentation] —

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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