Einer der Arbeitsinhalte des 2013er-Kunstsymposions „The Track: Axiom * Südost“ war die Frage nach Positionen und Funktionen Kunstschaffender in unserer Gesellschaft. Dieses Thema werden wir in das nächste Jahr hinein weiter bearbeiten. Es ist ein Teilthema des Projektes „The Track: Axiom * 2014“.
Dieser Abschnitt von „The Track“ ist gesamt der Frage gewidmet, wie wir ein angemessenes Verständnis des 20. Jahrhunderts erringen, um die Gegenwart zu verantworten und auf adäquate Art in die nahe Zukunft aufbrechen.
Wir sind Kinder einer Massenkultur, die ab den 1930er-Jahren sehr spezielle Manifestationen fand; auch in einer speziellen Nutzung der Massenmedien. Durch den Kalten Krieg gingen wir über verschiedene Utopien in eine Ära, da politisch „Kultur für alle“ (Hilmar Hoffann) verhandelt wurde.
Auffallend sind die häufigen Kopien der Inszenierungen, die sich ein Milieu von jener Schicht borgt, der gegenüber sie sich zu emanzipieren versucht. Das erklärt dann auch die zuweilen verblüffenden Imitationen städtischer Repräsentationskultur in der Provinz.
In der Gründerzeit emanzipierte sich ein aufstrebende Bürgertum gegenüber den alten Eliten (Adel und Klerus). Dieser Prozeß ging mit der Industrialisierung einher und führte dazu, daß sich aus dem Dritten Stand eine neue kulturelle Elite entwickelte, deren Wertekataloge und Repräsentationsweisen wir bis heute kennen. Inzwischen sind die Echos jener Repräsentationskultur – wie erwähnt — als Kopien und Simulationen sogar im Kulturbetrieb abseits der Landeszentren angekommen, was deren hohe Anteile an Repräsentationscharakter unterstreicht.
Damit meine ich, daß die eigentliche Auseinadersetzung mit Fragen der Kunst in regionalen Kunst-Events meist nachrangig ist. Vorrangig zeigt sich der soziokulturelle Nutzen solcher Events. Selbstdarstellung, Auftrittsmöglichkeiten, Anlaß zur Geselligkeit und zur Repräsentation. Viel Dinstinktions-Theater und Wichtigkeitsgedränge.
Dagegen ist absolut nichts einzuwenden. Es ist bloß kategorial etwas anderes als die Befassung mit Gegenwartskunst und den Fragestellungen, die da mit Mitteln der Kunst bearbeitet werden. In unseren Kreisen wurden die Texte von Bourdieu nie debattiert, vermutlich auch kaum gelesen, weshalb wir nicht zu unterscheiden gewöhnt sind, was symbolisches Kapital, was soziales und kulturelles Kapital sei gegenüber ökonomischem Kapital.
In aktuellen Manifestationen des regionalen Kulturbetriebes verzichten sogar akademisch graduierte Leute auf angemessene Grundkenntnisse kultureller Zusammenhänge und simulieren stellenweise bloß noch die Vertrautheit mit dem Bildungskanon der eigenen Milieus.
Ein Verzicht auf angemessene Vertrautheit mit wenigstens gundlegenden Aspekten der Kunst des 20. Jahrhunderts ist ebenfalls salonfähig geworden. In der Provinz haben um Dignität bemühte Leute das Feld der Voluntary Arts erblühen lassen.
Dieses Angebot, sich mit leicht rezipierbaren Werken und Dekorationsgegenständen auf eine Billigversion bürgerlicher Repräsentationskultur einzulassen, hat sich als äußerst konsensträchtig erwiesen. Daß damit ein anspruchsvolles Erarbeiten von Zugängen zur Gegenwartskunst erschwert, stellenweise blockiert wird, versteht sich von selbst.
Um das nicht unnötig zu komplizieren, sind selbst in meinem Milieu Kunstdiskurse weitgehend abgeschafft und kulturpolitische Diskurse gründlich abgeflacht worden.
Wo etwa die „autonome Kulturszene“ es sich aus den letzten Jahren heraus gemütlich machen konnte, ist dieser Teil des Betriebes sehr viel mehr ein soziokulturelles Kuschelecke denn ein Feld von Experimenten und Avantgarde-Potentialen.
Eben das belegen etwa die ausladenden Gesten der Hilflosigkeit, wie wir sie in kulturpolitischen Kontroversen erleben durften, da einbrechende Budgets uns zukunftsweisende Reaktionen abverlangt hätten. Konsequente öffentliche Diskurse zur Sache? Lieber nicht!
Allein die Tatsache, daß sich rückblickend keinerlei relevante Allianz von szenebezogenen Zeitungsleuten, Kleinverlags-Menschen, Kulturserver-Crews und Belegschaften des Freien Radios finden lassen, legen den Verdacht nahe, daß diesbezügliche Fördergelder wenigstens partiell in den Sand gesetzt waren.
Wenn in der Steiermark kurzfristig kulturpolitische Diskurse öffentlich wurden, dann hauptsächlich in schlanken Spalten im Feuilleton der etablierten Boulevardpresse.
Eine vergleichsweise flächendeckende und ganzjährig kontinuierliche Diskursebene, gestützt auf eigene Medienzugänge und eigene Medienkompetenzen wird man in der Steiermark der 1990er-Jahre und des ersten 2000er-Jahrzehntes nicht finden können.
Das bedeutet auch, ohne vermittelnde Instanzen im Regelbetrieb, ohne publizistische Kräfte wie Michael Tschita, Walter Titz oder Colette Schmidt wäre diese Szene im größeren Zusammenhang kulturpolitisch weitgehend stumm.
Zwischendurch gibt es kurze Aufraffungen im Bereich der Social Media; vorzugsweise wenn Partikularinteressen betroffen sind. Als dem Autor Günther Eichberger die Einstellung seiner Kolumne in der Kleinen Zeitung drohte, entstand etwas Unruhe. (Seine Kolumne blieb ihm erhalten.)
Sonst noch was? Eher nicht. Damit bekommt die inzwischen gut situierte „Protestkultur“ etwas von Kollaborateurs-Praktiken, die nichts unterlaufen und auch nichts Neues, Eigenständiges entwerfen. Diese Pose der Aufmüpfigkeit hat neuerdings auch ihre eigene Kunstform, nämlich „Protestkunst“ (Copyright: Anita Hofer), was deutlich illustriert, wie sehr sich dieses Milieu längst gängeln läßt, Mainstream-Praxen übernommen hat. Kuriose Anlaßkunst und allerhand Moral-Hampelei…
In Österreich hat das Spießerhafte auf dem Kunstfeld inzwischen Staatspreiswürdigkeit erlangt. Das Höchste an Esprit, zu dem eine amtierende Ministerin heuer in der Lage war, klang so:
>>Vor drei Jahren haben Sie, verehrter Erwin Wurm, hier in Salzburg, im „Museum der Moderne“ ausgestellt. Auf Podesten standen „Selbstporträts als Essiggurkerl“. Das Museum stellte dazu im Ankündigungstext die Frage: „Wenn Erwin Wurm ein Essiggurkerl ist, was sind dann wir restlichen Österreicher?“<<
…nachzulesen in der Rede von Frau BM Dr. Claudia Schmied zur Verleihung des Großen Österreichischen Staatspreises an Erwin Wurm [link]
Damit wir uns recht verstehen, ich halte sowohl das genannte Werk wie dessen Belobigung, diese Essiggurkerl-Nummer [link], für Spießerkultur von sehr bescheidenem geistigen Anspruch. Wenn dieser Status quo allgemeine Anerkennung hat, dann weiß ich wenigstens, was uns trennt.
Das bedeutet auch, bei „The Track: Axiom * 2014“ hoffe ich in den offenen Fragen auf anderen Ebenen fündig zu werden.
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