Ästhetische Erfahrung. Das ist kein „Schönheitsgeschäft“. Das sind Wahrnehmungsprozesse. „Aisthesis“ heißt Wahrnehmung. Wenn ich mit einem Rudel erfahrener Kunstschaffender Zeit verbringen, dann ist das sehr wesentlich auch ein Kommunikationsereignis.
In Anger hat sich mir wieder bestätigt: Die langjährige Befassung mit Kunst schafft den meisten von uns eine grundlegende Disposition, über die wir ansatzlos miteinander in etwas Dichtes geraten können.
Das zu erleben war bei den KOMM.ST-Leuten vor allem deshalb so brisant, weil sie zu ihrem aktuellen Festival Kunstschaffende aus ganz verschiedenen Weltgegenden, also höchst unterschiedlichen Kulturen, eingeladen haben; mehr noch: Menschen aus merkwürdigen kulturellen Gemengelagen.
Im Landeszentrum kann mich ein Spaziergang an interessante Plätze bringen, um derlei Situationen zu finden. In der Provinz sind andere Räume zu durchmessen. Mit dem Fahrrad von Gleisdorf nach Anger, das ginge freilich, auch nachts retour wäre prinzipiell schaffbar. Aber nicht heute, nicht von mir.
In der Provinz ist die nötige Mobilität auf einen gänzlich anderen Mittelaufwand gestützt als im Zentrum. Verständigung und Kooperation verlangen andere Ressourcen. Sie können es durchaus mit den Fragen nach Wegenetz, der Versorgung mit Wasser und Elektrizität vergleichen.
Wir haben hier andere Probleme zu lösen. Um Kontinuität zu erreichen, ist ein Kraftaufwand nötig, wie ihn die Zentren nicht kennen; zumal wir uns nicht auf wenigstens 150, 200 Jahre Vorgeschichte stützen können, in denen sich bevorzugte Eliten schon Zugänge zu Kunst und Kultur abringen ließen.
Ahnen Sie, wohin meine Plauderei zielt? Die Ausstellungen bleiben wichtig, die Veranstaltungen, bei denen Kunstschaffende und Publikum einander begegnen.
Aber all das, was sich als künstlerische Betrieblichkeit auf solche Arten äußert, der Öffentlichkeit mitteilt, wäre wohl kaum die Hälfte ohne jene informellen Prozesse, welchen den Möglichkeitsraum ergeben, das geistige Klima pflegen, in dem sich so viel entwickelt.
Genauer: Kommunikationsräume. Dabei stehen wir in direkter Konkurrenz und zuweilen Konfrontation mit dem Boulevard, mit einer Massenkultur, die sich via TV in so gut wie jedem Haushalt einnisten durfte; über Jahrzehnte.
Das sind aber nun auch kulturpolitische Agenda, von denen ich zu reden habe.
Wir stehen in Konkurrenz zu und Konfrontation mit einer Unterhaltungsindustrie, welche uns jeden Beweis schuldig bleibt, daß sie den Menschen helfen möchte, verfeinerte Wahrnehmung und differenziertes Denken zu erlangen. Unser kulturelles Engagement hat dazu unmißverständliche Aufgabenstellungen klar werden lassen.
Es läuft nun noch einige Tage das Festival „KOMM.ST 1.3“ in Anger, um sich dann zu anderen Orten hin zu verzweigen. Auch das ist eine wesentliche Qualität dieser Unternehmung. Es wird dabei nicht zentralisiert.
Was in den Zentren innerhalb von Stadtgrenzen verbleiben darf, ist hier gefordert, sich regional zu entfalten, um nicht die alten Denkmuster des 19. Jahrhunderts zu reproduzieren, welche dazu geführt haben, daß man noch in den 1970er-Jahren meinte, eine Stärkung der Zentren würde auch die Provinz heben… und hat sie doch bloß ausgeplündert.
An diesem Erbe dürfen wir uns abarbeiten. Das haben wir auch der Verwaltung in Graz zuzurufen: Es kann nicht sein, daß wir in diese antiquierte Logik zurückgeworfen werden, uns nach dem Zentrum zu orientieren haben.
Sollte die Politik, intendiert oder nicht, der Provinz diese Rolle wieder zugedacht haben, das Zentrum zu füttern, werden wir darin konfliktbereit sein. Streitbar. Und es wird auch so kommen, daß sich Institutionen des Zentrums mit unserem Tun messen müssen, falls nicht verstanden wird, daß wir aus einem eklatanten strukturellen Gefälle heraus Nischen eröffnet haben, deren Boden wächst, wo uns Dinge gelingen, die kann im Zentrum niemand besser.
— [übersicht] [KOMM.ST 1.3] —