Am 4. März 2012 titelte Michael Tschida in der „Kleinen Zeitung“ bei einem Kommentar: „Die Patientin Kultur“. Wir komme ich eigentlich dazu, daß mein Berufsfeld auf solche Art desavouiert wird, bloß weil wir a) seit Jahren eine (weltweit) komplexe Krisensituation haben und weil b) sich die steirische Auseinandersetzung zwischen Kulturschaffenden mit den Leuten aus Politik und Verwaltung zunehmend als ein Festival wachsender Kompetenzmängel erweist? (Und zwar auf ALLEN Seiten!)
Eine der interessantesten Deutungen kommt in den aktuellen Debatten gar nicht vor. Seit der Antike kennen wir die Auffassung, daß eine Krise die Voraussetzung für Katharsis sei. Wo nun eine „freie“ bzw. „autonome Initiativenszene“, die seit den 1970er-Jahren besteht, eventuell Veränderungsschübe in großem Ausmaß zu durchlaufen hätte, wo sich also dieses Feld vielleicht völlig verändern MUSS, weil die Welt sich dreht und sich Gesellschaft immer in Veränderungen ereignet, wäre es ja denkbar, daß wir, „WIR“ mit Vorsicht hingesetzt, uns vor allem einmal in einer Art „Modernisierungskrise“ befinden. Da gehörte es zum Wesen der Angelegenheit, daß kein Stein auf dem Anderen bleibt und daß alte Modi hinfällig werden. (Ich glaub, ich mag diese Vorstellung sehr.)
Die Kultur ist nicht krank, keine Patientin, sie krankt auch nicht an mir oder an anderen Leuten. Sie zeigt sich in genau dem Zustand, den wir ihr durch unser Handeln und Unterlassen ermöglichen. Daß aus meinem Milieu heraus der Tschida-Headline auch noch applaudiert wird, halte ich für einen Ausdruck von Borniertheit und auch für ein bißchen lustig.
Das illustriert nämlich, wie sehr viele Primärkräfte des Kulturbetriebes ernsthaft denken, a) „die Anderen“ seien schuld an dieser oder jener Misere und b) diese „Anderen“ seien in Politik und Verwaltung dingfest gemacht. Um Jandl zu zitieren: „werch ein illtum!“ Kulturpolitik, das sind natürlich wir ALLE im laufenden Wechselspiel der Kräfte.
Was sich in den spärlichen öffentlichen Kulturdiskursen der Steiermark hervortut, versteht sich per Sprachregelung immer noch als „Szene“, „Initativenszene“, „Freie Szene“ etc. Das ist weder sachlich sehr aufschlußreich, noch benennt es eine konkrete „Wir-Situation“.
Was hier wenigstens via Medien als soziokulturelle Kuschelecke erscheint, wirkt gegenüber aktuellen Veränderungsschüben schreckensstarr und etwas ratlos. Daher auch, so vermute ich, der Hang zum Alarmismus und zum Superismus. Die Alarmrufe künden von Untergangsstimmungen und der Superismus läßt jeden kleinen Effekt verbal als großes Ereignis dastehen. („Kulturkampf in der Steiermark“ und ähnlicher Schmonzes.)
Ich halte viele der Überschriften für polemische Gesten. Übertreibungen verklären Argumente. Ich glaube nicht daran, daß damit in der Sache weiterzukommen ist. Für mein Ringen um festen Boden im Kulturbereich und ein Terrain, auf dem auch ökonomische Erholung vorankommt, erscheinen mir einige Überlegungen wie Voraussetzungen unverzichtbar.
+) Kulturpolitik
… ist NICHT das, was Leute aus Politik und Verwaltung konstituieren, sondern das, was wir Kunst- und Kulturschaffende plus andere Engagierte aus der Zivilgesellschaft im Kräftespiel mit Leuten aus Politik und Verwaltung herbeiführen.
+) Kunst
Wenn wir keine Kunstdiskurse führen bzw. daran nicht teilnehmen, überlassen wir es Politik und Wirtschaft, zu definieren was Kunst sei. Genau das geschieht schon eine Weile mit vielen der Konsequenzen, die uns mißfallen.
+) Genres
Wenn wir nicht in der Lage sind, kategorial wenigstens grobe Unterscheidungen vorzunehmen, was etwa Gegenwartskunst meint und was Voluntary Arts sind, wenn wir Kunsthandwerk, ferner ambitioniertes Basteln etc. nicht als unterschiedliche GENRES betrachten können, die in Intentionen und Zielen der Leute sehr kontrastreich angelegt sind, bleiben kulturpolitische Verhandlungen sehr nebulös.
+) sozialer Status
Obwohl Kunstschaffende, die aus künstlerischer Arbeit ein akzeptables Jahreseinkommen lukrieren, in Österreich die extrem rare Ausnahme sind und daher für unser Metier keinesfalls eine Role Model abgeben können, gelten diese Freischaffenden unausgesprochen als „Königsklasse“. Wir weigern uns überwiegend, zu debattieren und nach außen zu kommunizieren, welche Vielfalt an Lebensmodellen und ökonomischen Konzepten unser Metier ergibt. Damit untermauern wir einen Obskurantismus in dieser Sache, der uns politisch und sozial permanent auf die Köpfe fällt.
+) Selbstbeschädigung
Wenn ich in den letzten dreißig Jahren ein problematisches Phänomen in meinem Metier als durchgängig erlebt habe, dann den Mangel an Fähigkeiten zur tragfähigen Kooperation. Dieser sichere Beitrag, verfügbare Ressourcen besser zu nutzen und deren Verknappung besser abzufangen, hat nach meiner Erfahrung zwei Hauptbarrieren: Brotneid und Eitelkeit. Das Geld der Anderen sowie mediales Augenmerk und Sozialprestige sind oft der Anlaß, sogar gut laufende Projekte zu kippen. Diese Art gepflegter, kulturell ausgefeilter Selbstbeschädigung erscheint mir geradezu sensationell.
+) Hauptamt/Ehrenamt
Wir könnten noch etwas mehr best practice vertragen, wie sich Hauptamt und Ehrenamt innerhalb eines Projektes kombinieren lassen, ohne zu Blockaden zu führen. Das Verlaufsschema ist gut bekannt. Ein Projekt beginnt, befeuert von viel Zuversicht und ehrenamtlichem Engagement. Es wächst in der Dimension, den Hoffnungen und Erwartungen. Jemand schafft es, etwas Geld zu akquirieren, längst nicht genug, um das ganze Ding in hauptamtliche Dimensionen zu wuchten, aber immerhin eine stärkende Zugabe. Plötzlich legen sich einige Ehrenamtliche quer und fordern: Wenn ich nicht auch bezahlt werde, tu ich nichts mehr. Zack, das Projekt sauft ab. Das sollten wir besser hinkriegen!
Die Liste läßt sich natürlich fortsetzen…