Wovon handelt Kulturpolitik? #11

Kulturpolitik ist selbstverständlich nicht bloß das, was uns Politik und Verwaltung servieren. Es ist auch das, was wir als Metier, als Berufsstand, von uns aus thematisieren, forden, durchsetzen. In letzter Zet weist allerhand darauf hin, daß gewissermaßen ene Ära endet. Was Ende der 1970er-Jahre erprobt und schließlich als „Initiativenszene“ eigeführt, etabliert wurde, kann als soziokulturelle Innovation nun offenbar im Archiv vermerkt werden. Irgendwie scheint es Zeit zu sein, sich selbst und den Lauf der Dinge neu zu bechreiben.

Unterschiedliche Begehrlichkeiten, die sich auf das Grazer Künstlerhaus richten, haben deutlich gemacht, daß die Branche eine aktuelle kulturpolitische Debatte vertragen könnte. Was davon bisher in steirischen Medien angekommen ist, stammt hauptsächlich von Leuten der Vermittlung. Kohärente Beiträge von Kunstschaffenden fehlen vorerst weitgehend. Siehe dazu: [link]

Woran mag das liegen? Diese Frage habe ich gestrichen, denn, wie der Volksmund sagt: „Wer nicht will, der hat schon“. Es ist einigermaßen kurios, daß eine ganze Berufsgruppe zu den Bedingungen ihrer Profession eher nichts zu sagen hat, obwohl diese Bedingungen so schlecht sein sollen wie lange nicht.

Die Debatten um Kunstfinanzierung aus öffentlichen Mitteln sind stets neu notwendig. Die Gründe dafür wollen jeweils zeitgemäß genannt und diskutiert werden. Eigentlich wären wir spätestens ab Februar/März 2010 gut beraten gewesen, diese Debatten in Gang zu bringen. Vor nun fast zwei Jahren war in der Branche vollkommen klar, daß auf Landesebene Kürzungen im Ausmaß von 25 bis 30 Prozent anstehen.

Verfügbare Mittel aus dem Bereich „Kulturförderung“ müssen auf wenigstens drei Bereiche verwendet werden: Bildung, Produktion und Vermittlung. Außerdem wären sehr praxisbezogene Diskurse über das Verhältnis „Gesellschaft, Kunst, Kultur“ hilfreich, um zu klären, aufgrund welcher Interessenslagen auch andere Genres und Förderstellen mit ihren Ressourcen etwas zur Stärkung des Kulturbetriebes beitragen könnten.

Wenn wir Kunstschaffende dazu keine elaborierten Vorstellungen auf den Tisch bringen, wer sollte das Thema für uns betreuen und die möglichen Aufgaben bearbeiten? Finde ich derlei Angelegenheiten berücksichtigt, wenn ich etwa den Ansprüchen rund um das Künstlerhaus Graz folge und auf den Websites der verschiedenen Prätententinnen und Prätententen Nachschau halte? Leider nein.

IG Kultur Steiermark oder KIG: Kultur in Graz („Plattform für interdisziplinäre Vernetzungsarbeit, mit Veranstaltungskalender und Diskussionsforum“) lassen mich ratlos. Verbände wie Werkbund, Sezession etc. haben zu derlei Fragen nichts zu sagen. Einzelne Kunstschaffende exponieren sich nicht. Literatur, Musik, bildende Künste, Theater, keine Ahnung, welche Positionen da präsent sind.

Der kosovarische Maler Milaim Avdiu

Bei unseren südslawischen Nachbarn ist mir im letzten Jahr ein vermehrtes Aufkommen des weißen Kreuzes auf schwarzem Grund aufgefallen. Das verweist auf den Kanadier Simon Brault und seine Streitschrift „No Culture, no Future“.

Noch südlicher, beim kosovarischen Maler Milaim Avdiu, stieß ich kürzlich auf einen sehr interessanten Text von David Edgar, der im britischen Guardian publiziert wurde: „Why should we fund the arts?“ [link] Darin bezieht sich Edgar unter anderem auf das Buch „What Good Ar the Arts?“ von John Carey.

An diesen Autoren und Texten finde ich unter anderem ein brisantes Thema sehr interessant: Es weist einiges darauf hin, daß der Nutzen, den die Befassung mit Kunst erbringt, sehr viel mehr in der Partizipation liegt als in der Konsumation. Das heißt, traditionelle bürgerliche Kunstvermittlung in diversen Präsentationsformen, wo hier Kunstereignis und da Publikum aufgestellt sind, mag für Kunstschaffende komfortabel erscheinen, es rechtfertigt aber etliche Argumente der Kunstförderung nicht ausreichend.

Edgar: “And John Carey – whose 2004 book What Good Are the Arts? is a 300-page philippic against the arts having any educative role whatsoever – finds himself impressed by the success of arts activities in building self-confidence and self-esteem among young prisoners. A recent Europewide study of 5,000 13- to 16-year-olds found that…“

Natürlich können sich Kunstschaffende den Fragen nach solchen Zusammenhängen entziehen, denn prinzipiell müßte ich mich nur der Kunst, ihren eigenen Regeln nd Aufgabenstellngen verpflichtet fühlen. Allerdings wird dann mein Katalog kulturpolitischer Argumente schlagartig sehr schmal.

Standortfragen des Aufenthalts zwischen Konsumation und Partizipation, das berührt sehr grundsätzliche Fragen von Gesellschaften zeitgemäßer Demokratien. Falls zukünftige Begründungen für Kunstförderung stärker auf Formen der Partizipation ausgerichtet sein sollen, müssen auf jeden Fall neue Versionen der Kunstpräsentation und -vermittlung zur Debatte stehen, was freilich auch Konsequenzen für das berufliche Selbstverständnis Kunstschaffender nach sich ziehen dürfte. Bohemiens, Genies, Salon-Rebellen, das sind heute eher Kategorien des „lebenden Museums“.

In den Post-Kriegs-Gesellschaften des Balkans sind meine Kolleginnen und Kollegen offenbar gerüstet, solche Debatten zu führen. Und sie blicken dabei auch zu anderen Gesellschaften rund um den halben Erdball. Welche Aspekte des Geschehens haben da Priorität? Gegen welche Einwände und auch Ressentiments muß Stellung bezogen werden?

Einer der wichtigsten Fragenkomplexe ist hier noch gar nicht erwähnt. In welchen Berufsbildern (be-) finden wir uns heute? Was heißt es konkret und in sozialen Kategorien, in Österreich Künstlerin, Künstler zu sein? Was verlangen wir dabei von uns und was von anderen? Wie soll demnach unser Berufsfeld sich zu anderen Metiers verhalten? Was ist in solchen Zusammenhängen heute kulturpolitisch verhandelbar und welche Konsequenzen müßte das sozialpolitisch haben?

Siehe dazu auch:
+) Durchgeknallte Selbstverwirklicher
+) Boulevardisierung des Kunstbetriebes?

[überblick]

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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