die erfahrung von weng

ein dampfer legt sich nicht in die kurve, nur weil der schiffsmotor eben ein paar ps mehr aufbringen kann. eine ländliche region ändert nicht ihr kulturelles antlitz, nur weil gerade für ein, zwei jahre erhöhte kulturbudgets zur wirkung kommen. und jetzt ist es in vielen ländliche gemeinden sogar sense mit den wenigsten halbwegs adäquaten kulturbudgets.

dazu kommen noch allerhand andere beeinträchtigungen, von denen ich ihnen hier gar nicht erst erzählen will, weil das schnell fad wird. wir haben ja während der letzten 20 jahre längst so ungefähr 200 problemkataloge erstellt und veröffentlicht. ein lebhaftes geschäft, bei dem wir nun von einigen frischen krisen eingeholt worden sind. also wird es zeit, die befunde auf stichhaltigkeit zu überprüfen, schlüsse zu ziehen, handlungspläne herauszufiltern und loszulegen.

"ForumK" live: manchmal sind wir so ernst, wie es den anschein hat...

warum diese töne? ich war eben in weng bei admont. franz maunz lebt und wirkt dort schon eine ewigkeit und drei tage als jazz-promotor („wengerwirt„). das muß man an so einem ort erst einmal überleben. maunz ist außerdem akteur des kulturdachverbandes R*E*X, was unter anderem bedeutet, er weiß als insider, wozu eine „regionale“ momentan in der lage ist und wozu nicht.

"broadlahn"-sänger ernstl huber (links) und jazz-promotor franz maunz beim ausklang einer welschriesling-meditation

am 6. juli fand in weng ein „ForumK“ statt, also eine jener diskursveranstaltungen, die der R*E*X in gang hält, um brisante frage- und themenstellungen zu bearbeiten. in unserem metier herrscht quer durchs land ein wenig diskursfaulheit, was anderen interessensgruppen zu allerhand von genau jenem spielraum verhilft, dessen konsequenzen im kulturbetrieb zur zeit beklagt werden.

leute wie wir haben ende der 1970er- und entlang der 1980er-jahre entworfen, erprobt und durchgesetzt, was heute als „autonome initiativenszene“ präsent ist. künstlerische genres, deren darbietungen wir jenseits von graz damals erst eingeführt haben, sind heute standard selbst kleiner gemeinden, soweit sie über kulturbeauftragte verfügen.

in vielen gemeinden waren es aber nicht leute der politik, sondern engagierte privatpersonen, die das initiiert haben, weil seitens der kommunen niemand in der lage oder daran interessiert gewesen wäre, gegenwartskunst im bildenden bereich, zeitgenössische literatur, kabarett, jazz, folk und blues zu promoten.

diese genres fanden einst weder akzeptanz, noch budgets; kurioser weise vor dem hintergrund, daß viele authentische formen von volkskultur den bach hinuntergingen und von dümmlichem mainstream-kommerz überlagert wurden. es ist mit bis heute ein rätsel, warum zum beispiel menschen aus der agrarischen welt sich ein lächerliches bis groteskes zerrbild ihres eigenen lebens als „freizeitgenuß“ verkaufen lassen.

diskurs am morgen danach: GEA-boss heinrich staudinger (links) und jazz-promotor franz maunz sind einig, daß wir auch über eigenarten der heimischen ökonomie klare aussagen treffen können sollten

wie dem auch sei, leute wir wir haben jedenfalls nun jahrzehnte arbeit und engagement darauf verwendet, das kulturelle gefälle zwischen „zentrum und provinz“ abzuflachen. wie sich aktuell zeigt, hat uns das etwa die politik nicht gelohnt, indem sie es schaffte, im gleichen zeitraum das strukturelle gefälle wenigstens etwas abzuflachen. ganz im gegenteil, wir haben eine neue landflucht am hals, die demographische entwicklung ist einschüchternd schlecht, auf dem lande verkrampfen sich allerhand funktionstragenden im thema neu anstehender gemeindezusammenlegungen. es geht also eindeutig in stürmisches wetter und der dampfer hat motorschaden.

wir haben nun vielfach anlaß, diskurse über kunst, kultur und kulturpolitik in den regionen am laufen zu halten. dieses reiche land erfährt eine wachsende stagnation in vielen gesellschaftlichen bereichen. der rasende kompetenzverlust, den diese gesellschaft erleidet, hat unser metier nicht ausgenommen. welche ausreden würden noch übrigbleiben, um nun jene kompetenzen, die wir für uns reklamieren, nun nicht auch konsequent anzuwenden?

ich hab mit franz maunz und einigen anderen leuten übereinkunft: wir prüfen unsere befunde, ziehen schlüsse daraus und handeln entsprechend. wir sind einig, daß es vorrangig sein muß, nun deutlich zu machen und angemessen nach außen zu kommunizieren, welchen rang unser metier hat, was es zu leisten vermag und welche priorität unserer kulturellen praxis in dieser gesellschaft zufällt.

es kann nicht übersehen werden, daß eines der teuersten bildungssysteme europsas eines der schlechtesten ergebnisse europas produziert. es kann nicht geleugnet werden, daß etablierte funktionstragende der kommunen und des landes an immer mehr aktuellen problemen und aufgaben vorerst scheitern.

distanz zum landeszentrum darf doch kein garant für ein eklatantes, womöglich noch wachsendes strukturgefälle sein

es muß betont werden, daß die kommunikations- und arbeitsverhältnisse zwischen regionalen kommunen und landesebene, aber auch der kommunen und des landes zum bund hin, schwer belastet, teilweise sogar desaströs sind. unser aller leben ist zunehmend durch kommunikationsprobleme, stagnation und kostenexplosionen belastet. wie verblüffend, daß es in der kommunalpolitik österreichweit großen konsens gibt, das ließe sich zum beispiel durch einsparungen ausgerechnet im kulturbetrieb bessern.

das ist für sich schon ein irritierender beleg herrschender kompetenzmängel, denn a) ist kommunikation ein kernbereich soziokultureller agenda, b) hat der kulturbetrieb ein höchstmaß an ehrenamtlichem engagement von bürgerinnen und bürgern, c) hat der gesamte kreativsektor, dem dieser kulturbereich zugerechnet werden muß, wirtschaftlich wesentlich bessere wachstumsraten und entwicklungspotenziale als konventionelle branchen. (ich werde das bei nächster gelegenheit mit quellen belegen.)

wir werden das nicht lösen können, indem wir lange listen von schuldzuweisungen verfassen. wir haben zu klären, wofür wir uns selbst zuständig fühlen und was wir den formell zuständigen funktionstragenden abverlangen müssen, aber auch, was wir ihnen anbieten wollen.

wir haben zu klären, was uns selbst konkret einfällt, um die stagnation in dieser gesellschaft zu überwinden und den umfassenden kompetenzverlust wenigstens zu bremsen.

post scriptum:
die erfahrung von weng liegt nun vorerst darin, daß für mich deutlich wurde, ich bin nicht der einzige, der den status quo so bewertet und ich finde zunehmend erfahrene leute, der handlungspläne meinen ähneln.

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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