Ein Bonmot lautet, es sei die erste Pflicht politischer Kräfte ihrer Fraktion Mehrheiten zu verschaffen. Das leuchtet mir ein.
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Allfälliges Funktionärsgeschwafel von „Vaterlandsliebe“ und „Dienst am Volk“ finde ich zum Kotzen. Das läßt sich ja mit der Lebenspraxis solcher Leute gar nicht belegen. Ich werde aber meine Ansicht gerne überdenken, wenn man mir wenigstens eine exemplarische Biografie aus der steirischen Gegenwart vorlegt.
Ich ließ mir eben sagen, daß ich töricht sei, falls ich von der Politik relevante politische Sachkenntnis erwarten wolle. Das junge steirische Regierungsprogramm ist kein Beleg für nennenswerte politische Sachkenntnis. Der Fokus auf „Tradition und Moderne“ ist pures Karaoke. Aber das kann ich der Politik nicht vorhalten, wo die primären Kräfte, das schaffende Kulturvölkchen, schon eine Weile kaum mehr Diskursives leistet, außer Petitionen zu verfassen.
Ich möchte es selbst mit all dem gerne ein wenig genauer nehmen. Es ist ganz naheliegend, daß wir verschiedene Deutungen finden, von wann bis wann die Moderne als Epoche gerechnet wird, zumal in Gesellschaften vielfache Ungleichzeitigkeiten herrschen.
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Ob man daher nun die Soziologie, die Philosophie, die Zeit- oder Kunstgeschichte befragt, es zeigen sich da unterschiedliche Erzählungen. Aber Sie liegen auf keinen Fall falsch, wenn Sie die Moderne als Folge der Neuzeit ansehen, die das Mittelalter ablöste. Eine Epoche zwischen Französischer Revolution und dem Erstem Weltkrieg ist als „das Projekt Moderne“ gut darstellbar.
In der Malerei könnten Sie sich auf jeden Fall ein wenig beim Expressionismus umsehen. Kubismus, Surrealismus, Bauhaus, da kam danach sehr viel Bewegung in die westliche Arten des Sehens. Sagt Ihnen Dada etwas? Die Krise der Avantgarde im Durchrütteln einer Kunst der Moderne ist auch schon eine Weile her.
Von Denkern wie Lyotard, Foucault und Konsorten wurde ausgeleuchtet, was wir Postmoderne nennen. Das ist ebenfalls längst Geschichte. Hanno Rauterberg nennt den 11. September 2001 das „endgültige Aus der Postmoderne“. Sie erinnern sich? Der Tag, an dem das World Trade Center fiel: 9/11. Ein enormes Verbrechen und zugleich ein symbolischer Angriff auf den Kapitalismus, unterm Strich ein beispielloser Massenmord.
Von Rauterberg hab ich für unsere Gegenwart in der Vierten Industriellen Revolution den tauglichen Begriff „Digitalmoderne“ übernommen. Damit ist der qualitativ enorme Technolgiesprung angesprochen, welcher diese Epoche von der Zeit der Digitalen Revolution unterscheidet.
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Befrage ich dagegen einen Kultursoziologen wie Andreas Reckwitz, komme ich für die Gegenwart auf den Begriff Spätmoderne. Zitat: „Die Überlagerung der alten Logik des Allgemeinen der Industriegesellschaft durch eine soziale Logik des Besonderen der Spätmoderne betrifft letztlich und in außerordentlichem Maße die Formen des Sozialen, des Kollektiven und des Politischen zu Beginn des 21. Jahrhunderts.“
Ich anerkenne, daß uns die Politik all das nicht erklären kann und will, stattdessen offenbar auf Propaganda und Framing setzt, um sich im Kulturbereich mit einer freundlichen Pose aufzustellen. Daß ich aber in meinem Metier auf solche Debatten verzichten soll, weil die meisten Leute in meiner Umgebung dafür einfach nicht gerüstet sind, halte ich für ein wachsenden Problem,
Ich hab in den letzten gut 30 Jahren mehr als einmal betont: Wenn wir selbst nicht klären, wofür unsere Begriffe Kunst und Kultur stehen, werden das Wirtschaft und Politik gerne für uns erledigen. Genau so ist es gekommen. Die Themenführerschaft liegt offenbar nicht bei den primären Kräften.
+) Steiermark 2024 (Zum Regierungsprogramm)
++) Ein Feuilleton (Kulturpolitische Beiträge, laufende Debatte)