Routen 236: Verhuscht

Carspotting ist eine sehr ernsthafte Kulturarbeit. Das würden wir freilich an keine Wand schreiben.

Unverkennbare Frontpartie: Lancia Delta integrale.

Wir wissen das, damit hat es sich. Wir nennen es nicht einmal so, denn wir sind Automobilpaparazzi. Die Formulierung belegt cineastische Neigungen (Fellini!) und Achtung für Italianità. Das bedeutet unter anderem; Wir sagen keinesfalls „Paparazzos“, auch nicht „Lambordschini“ oder „Karmann Dschia“.

Höchstwahrscheinlich ein Chevy.

Der Automobilpaparazzo führt ein Leben mit griffbereiter Kamera. Es gehört zu unserer Passion, das gelegentliche Entwischen unserer Beute zu ertragen. Es trifft einen auf zahlreiche Arten. Zu spät gezogen. Zu hektisch draufgehalten. Keine gute Position erreicht.

Oder aber es rollt einer der unzähligen Yank Tanks vorbei, die in der enormen Variantenvielfalt einzelner Modelle einzelner Marken aus amerikanische Produktion nur schwer zu identifizieren sind. Das ist mir gelegentlich zu viel Arbeit. Bei allerhand Youngtimers, etwa von BMW, Ferrari oder Mercedes, geht es mir ähnlich. Da verläßt man sich auf die Expertise anderer Paparazzi.

Ganz sicher ein Caddy.

Ich bin auf keine einzelne Marke fixiert. Mich fesselt die große Erzählung der gesamten Automobil- und Mobilitätsgeschichte und wie sie unsere Gesellschaft geformt hat. Eine Art Generalfetisch und kultureller Code, der innerhalb meiner eigenen Lebensspanne besonderes Gewicht erreicht hat.

Ohne Zweifel ein früher Miata (MX5 klingt mir zum Abgewöhnen).

Als ich 1956 geboren wurde, begann erstmals eine umfassende Volksmotorisierung über den individuellen Privatbesitz von Automobilen. Das war noch in den 1940er Jahren unmöglich, weil für die meisten Menschen viel zu teuer gewesen.

Ich habe den Eindruck, diese Ära endet auch mit meiner Lebenszeit. Wir werden zwar gewiß unsere Ansprüche an individueller Mobilität beibehalten, aber es wird ein anderes Konzept folgen. Mit dieser Ansicht bin ich derzeit freilich wenig populär.

Das Suchen ist mir grade zu viel Aufwand.

Ich neige zur Überzeugung, daß diese Aufstiegsformel von einer nächsten abgelöst werden wird: Einfamilienhaus im eigenen Garten und ein bis zwei eigene Autos in der Garage oder auf dem Carport. Das ist ein antiquierter Code.

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Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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