Spiegelneurosen

Von Monika Lafer

Wir kennen das Märchen mit dem gut informierten Spiegel, der über Schneewittchens Schönheit berichtet.


Eine unerwartete Antwort auf die Frage der königlichen Stiefmutter bringt dieselbe in Rage und in den Zerstörermodus. Es kann schließlich nur eine geben.

Der Blick in den Spiegel ist in der täglichen Routine ein fixer Bestandteil, wenn auch nicht mit der Verbissenheit, die das genannte Märchen beschreibt. Ich bin also die Person, die ich am öftesten sehe. Daher ist es auch bei KünstlerInnen nicht verwunderlich, wenn es heißt: „In jedem Porträt steckt auch ein Selbstporträt.“ Das ist bei MalerInnen genauso wie bei SchauspielerInnen zu beobachten.

Und doch ist es wichtig, zu wissen, dass der Mensch von seiner subjektiven Wahrnehmung ausgeht, die unaufgeregt zu hinterfragen ist. Das wird mitunter mal angenehm, mal schmerzhaft sein. Allerdings bringt es uns im Umgang miteinander weiter, wenn wir uns bemühen, unser Dafürhalten nicht mit dem Evangelium zu verwechseln. Unsere Wahrnehmung ist nicht unfehlbar.

Auch in der Wissenschaft – das ist mir seit meiner Studienzeit in der Geisteswissenschaft (2013-2022) bekannt – spricht man daher nicht mehr von „Objektivität“, sondern von der „Intersubjektivität“. Das meint in der Praxis, man stellt klar, wo man steht und beschreibt seine Ausführungen sachlich, selbstverständlich mit Quellenangaben. Warum? Man ist Teil des Systems Mensch und kann so unmöglich irgendwas „von außen“, also objektiv, beurteilen. Keine Hirnwichserei, sondern Präzision.

In den letzten Jahren haben sich alle möglichen und unmöglichen Statements in allen Kanälen der Social Media rasend schnell verbreitet (man kriegt eine Ahnung, wie die Folgen der Erfindung des Buchdrucks einst die Menschen geflasht haben muss). Und in Kombination mit einem weitverbreiteten Stehsatz „wer schreibt, der bleibt“ versichert man sich seiner digitalen Existenz, indem man postet. Ich poste also bin ich. Nicht nur das – ich lande auch zuverlässig in meiner Bubble. Mehr vom Gleichen, lieben Gruß von der Spiegeltechnik.

Nun, ich poste und ernte Zustimmung oder einen unangenehmen Shitstorm. Es sind Meinungen, die einem dann an der Backe kleben. Man hat zwar keine Ahnung, aber immer eine Meinung. Eine solche Haltung auf beiden Seiten verhindert friedliche Kommunikation verlässlich. Es geht darum, Likes zu sammeln, verdammt nochmal, sonst nix. Raus aus meiner Bubble!

Die eigene Wahrnehmung und ihre Interpretation stehen im Vordergrund, das Gegenüber kommt nicht mehr vor. Was soll das ganze Ding mit dem Benehmen und Wertschätzung? Hat man denn nirgends Ruhe vor dieser linken intellektuellen Bagage?

Also, wozu dient das Hinterfragen der eigenen Wahrnehmung? Nun, ich für meinen Teil denke mir, dass Klarheit ein unverzichtbarer Faktor ist – mit nützlichen Fragen kann viel davon entstehen. Ich kann in einer klaren Haltung meinen Mitmenschen offen und entspannt gegenübertreten und muss mich nicht ausufernd erklären, denn es gibt eine Kongruenz zwischen Denken und Handeln.

Nebulöse Formulierungen – also viel reden und nix sagen – ist eine Taktik der Schaumschläger und Krätzn.

+) Rechtsruck (Eine Übersicht)
+) Monika Lafer

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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