wir dürfen keine rache nehmen, wir dürfen nicht töten!

wir können nicht darüber reden und wir können nicht darüber schweigen.

da tritt jemand in meiner nachbarschaft öffentlich für die wiedereinführung der todesstrafe ein. das zieht eine kleine flut von zustimmung nach sich. ich lese kaum einwände. der großteil der telepräsenten community schweigt überhaupt zur sache, geht einfach darüber hinweg.

ich war schon lange nicht mehr so niedergeschlagen wie in diesen tagen. exponierte regionale persönlichkeiten loben diese demokratie ob der herrschenden meinungsfreiheit. fein!

leider wird vergessen anzuführen: „wie bemerkenswert, daß jemand sich öffentlich so zur todesstrafe äußern kann, aber ich muß einen energischen einspruch vorbringen, denn dieser wunsch ist völlig unakzeptabel und mit vielen grundsätzen dieser gesellschaft völlig unvereinbar!“

mich regt inzwischen schon weniger auf, daß ein bürgermeister sich so geäußert hat, sondern daß ihm kaum wer widerspricht … und welche art an zuspruch er in dieser frage erhält. ich nehme zur kenntnis, daß in solchen momenten mehr schweigen herrscht, als die sache erlaubt (und als ich ertrage).

vukovar, nur wenige fahrstunden von hier entfernt, könnte uns erinnern, wie leicht das morden plötzlich werden kann, wenn eine gesellschaft den halt verliert …

vor wenigen tagen, genau: am 22. februar, bin ich auf meinem weg in den süden erneut durch das kroatische vukovar gefahren. dort hat vor einigen jahren ein beispielsloses morden geherrscht. wir vergessen gerne, daß moralische schranken schlagartig einbrechen können, falls wir nicht über jahre ein kulturelles bollwerk gegen das töten errichtet haben.

wir täuschen uns selbst, wenn wir uns vormachen, diese art der gewalt könne nur „die bösen“ treffen. das ist eine törichte phantasie. wie grauenhaft das erwachen aus dieser illusion werden kann, mag man sich von unseren südslawischen nachbarn erzählen lassen. in vukovar, in omarska, in kosarac, in racak …

wenn wir das töten freigeben, und sei es auch nur für wenige, bringen wir uns selbst in gefahr, unsere kinder und enkel. schauen sie, wohin sie wollen, schauen sie vor allem in länder, wo die todesstrafe noch praktiziert wird. es läßt sich nicht beweisen, daß dort die kriminalitätsraten signifikant geringer wären als sonst wo. aber das leben der menschen ist dort weniger wert …

ich widerspreche allen, die gute gründe zu haben glauben, für welche fälle auch immer die todesstrafe anwenden zu wollen. und ich frage vor allem jede und jeden von ihnen: würden sie selbst hand an den delinquenten legen? welche tötungsart würden sie bevorzugen, um jemanden zu ermorden?

— [der bezugspunkt] —
— [das thema] —

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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