Selbstverständlich sind Möglichkeiten erfahrbar, für die wir keine Begriffe und keine Bilder haben.
Unter anderem, weil auch unser Fleisch für Wahrnehmungen sorgt, die – ähnlich den Gedanken – zu Erzählungen werden. Ich mag die Vorstellung, daß das menschliche Bedürfnis danach, diese Eindrücke zu deuten, uns den Verstand gebracht hat.
Marcus Kaiser meinte an einer Stelle unserer Korrespondenz: „Nun hat in der Zeitgenossenschaft von Magritte und Korzybski auch die Quantenphysik einen rätselhaften Zusammenhang von allem mit allem festgestellt, was dem Konzept der ‚autark‘ existierenden Substanz ebenso den Todesstoß versetzte, wie der naiven Annahme einer an sich gegebenen Dingwelt.“ Das ist ganz nach meinem Geschmack.
Ein Pendeln zwischen dem Symbolischen und dem Greifbaren ist in der Kunstpraxis ohnehin Standard. Deshalb langweilen mich Posen wie: „Was will uns der Künstler damit sagen?“ Ich kann mich mit „Verkündigungskunst“ nicht anfreunden. Ich mag dagegen sowas: „Einer Welle ist deshalb etwas noch Abstrakteres, als ein ‚Teilchen‘; unter einem ‚Teilchen‘ verstehen wir zumindest ganz eindeutig ein Objekt.“ (Valerio Scarani)
Ich hab in der vorigen Glosse zu diesen Themen notiert: „Quantenmechanik handelt von etlichen Phänomenen, für die wir keine Begriffe und keine Bilder haben, weil sie unser Denkvermögen völlig übersteigen.“ (Quelle) In der Kunst kann mir freilich nicht so leicht etwas um die Ohren fliegen.
Das ist in anderen Professionen viel wahrscheinlicher. Physikerin Ilse Tweer schrieb mir zu meinem aktuellen Faible ein paar Gedanken aus einer Position, die wesentlich brisanter ist. (Sie ist Expertin bezüglich der Stabilität von Reaktordruckbehältern. Festkörperphysik.)
Ich hatte in meinem Logbuch am 16. März 2023 notiert: „Anton Zeilinger ist der Auffassung, das Quanten-Thema sei in der Physik umfassend und zufriedenstellend angekommen, nicht aber in der Philosophie.“ (Quelle)
Tweer: „Zu Deinen Quantenphysik-Überlegungen, insbesondere dem Zeilinger-Zitat, das Quanten-Thema sei noch nicht in der Philosophie angekommen: Ich erinnere mich, dass in meiner Studienzeit ein Professor sich in seiner Philosophie-Vorlesung an der Uni Wien über die Kopenhagener Deutung der Quantenphysik ausgelassen hat und er mit mir sogar im Rahmen des Philosophie-Rigorosums (1965) drüber gesprochen hat. Das ist aus meiner Sicht durchaus bemerkenswert, weil der Mann damals über 60 Jahre alt war und an der Uni nur noch ein junger Dozent eine Vorlesung über Quantentheorie gehalten hat.
Später hat Herbert Pietschmann (Physiker) ein Gesprächsformat zwischen Physikern und Philosophen entwickelt, das im Rahmen des Philosophie-Studiums angeboten wurde. Da Zeilinger jünger ist als ich, müsste er diese Entwicklung miterlebt haben, Ich war da schon in den USA. Pietschmann hat sich dann auch mit dem Zusammenhang zwischen Kommunikation und Quantenphysik beschäftigt. Bücher über das Thema Quantenphysik – Philosophie gibt es heute beliebig viele.
Ich würde umgekehrt behaupten, die Philosophie ist aus den Naturwissenschaften gedrängt worden, das heisst, dass durch den Wegfall der Philosophie aus dem Studium der Naturwissenschaften die Ausbildung der Naturwissenschaftler verarmt ist, sie also was verpassen, quasi nicht mehr fachübergreifend umfassend zu denken lernen, dafür halt fachspezifisch tiefer einsteigen.
Eine Detail: Zu meiner Zeit gehörten die Naturwissenschaften an der Uni zur philosophischen Fakultät, wir mussten mindestens vier Semester Philosophie nachweisen. Ich vermute, die Quantenphysik ist zu einer Art Mythos geworden – weit weg vom Erfahrbaren oder Verstehbaren, etwas für Nerds, deshalb auch nicht wirklich ein Thema für Gespräche oder Diskussionen zwischen Menschen im Alltag, selbst mit solchen, die was drüber gelernt haben.“
+) Tesserakt