die dinge sind nicht bloß was sie sind, sondern stets auch etwas anderes. ich weiß, das kommt jetzt ein wenig floskelhaft daher. als kinder hatten wir manchmal magischen gegenstände in den händen. dazu zählten „wackelbilder“. es waren meist kleinere blättchen, die einen wechselnden inhalt boten, wenn man den blickwinkel leicht verschob. (bilder hinter sogenannten lenticularfolien.)
diese art „wackelbilder“ sind heute längst von anderen visuellen sensationen übertroffen, werden aber immer noch erzeugt. dazu schreibt ein anbieter über den „flip-effekt“ etwa: „Die Erzeugung von äußerst effektvollen Bildabfolgen ist möglich.“
ich erinnere mich an kindertage, in denen ein fernsehgerät noch nicht zum obligaten inventar eines haushaltes gehörte. da war der eindruck solcher wechselbilder natürlich in einen anderen zusammenhang gebettet als gegenwärtig, wo unser vermögen, visuelle codes zu entschlüsseln, mit inputs vollgestopft ist wie nie zuvor in der menschheitsgeschichte.
mit „vexierbildern“ verhält es sich ähnlich wie mit „wackelbildern“. sie verlangen allerdings, daß der „flip“ im kopf passiert. man muß sie nicht unbedingt bewegen, um den „zusätzlichen“ bildinhalt zu entdecken. solche kuriositäten sind in der kunst wenigstens seit der renaissance erhalten. in meiner kindheit waren „suchbilder“ sehr populär. da sind im vordergründig offensichtlichen bildinhalt noch andere motive versteckt gewesen, die man suchen mußte. eine frage des „flip“ im kopf.
dieser „flip“ im kopf, ich sehe rückblickend, daß solche simplen vergnügen, in wackel- und suchbildern kleine überraschungen zu finden, grundlegende erfahrungen waren, die mich lehrten, kunstwerke zu „lesen“; also die visuellen codes zu entschlüsseln und zu verstehen.
derlei möglichkeiten der verborgenen inhalte finde ich natürlich auch in anderen codes, nicht bloß in den bildwelten. in einer polemisch verkürzten deutung des möglichen unterschiedes zwischen kitsch und kunst ließe sich behaupten: im kitsch ist nichts zusätzliches verborgen. er erzählt bloß sich selbst.
nun hat für mich jahrzehntelange künstlerische praxis zu einem kuriosen effekt geführt. die ganz welt ist mir zu einem „vexierbild“ geworden. je ausdauernder ästhetische erfahrungen sich auswirken dürfen, desto zwingender werden mir solche sichtweisen. vielleicht besagt das ja auch bloß, daß ich reichlich geübt habe, auf einer sehr breiten skala von tiefenschärfe den fokus beliebig zu verschieben.
metapherngeschäfte! ich erzähle hier nicht die welt und nicht die kunst. das sind bloß reflexionen und denkanstöße. meine erfahrung besagt: das leben in der kunst wird so zum „dauerzustand“. ich würde diesen blick auf komplexität, diese neigung vexierbilder zu lesen, um nichts mehr aufgeben.
tiefenschärfe und komplexität. das verlangt keineswegs, sich so auch in einem werk zu zeigen. radikale reduktion kann die richtige antwort auf eine bestimmte fragestellung sein. ich habe das gerade in einem laufenden prozeß diskutiert, wo ein leidenschaftlicher fotograf auf eine ausstellung zugeht und dazu tendiert, dort bloß ein einziges bild zu zeigen. es gab kurz die überlegung, wie ein publikum das wohl aufnehmen würde.
das führte zu einigen ausführlichen erörterungen. im allgemeinen wird kunstschaffenden manchmal vorgeworfen, daß sie sich dem publikum andienen würden. wenn sie sich aber bei der arbeit einen gedanken an das publikum verbieten, kann das ebenso zu vorhaltungen führen.
das handelt vor allem einmal von der vermischung verschiedener jobs. die aufgaben der KUNST sind heute ja ganz andere als die aufgaben der KUNSTVERMITTLUNG. was also in der kommunikation nach innen geschieht, hat andere zusammenhänge als die kommunikation nach außen, fordert einen, ganz unterschiedliceh aufgaben zu erfüllen.
ich kenne aus der regionalen kulturarbeit kreative leute, die eine befassung mit all diesen zusammenhängen entweder ablehnen oder in ihrer arbeit weitgehend vermissen lassen. kein einwand! aber ich kann jemandem nicht folgen, der so eine position hält und sich dennoch unter die flagge der gegenwartskunst reklamiert …