Krieg hat schon lange nicht mehr bloß Kriegsschauplätze für Waffengänge. Wir sind auf mehrere Arten verwickelt. Das Schlachtfeld, die Wirtschaft, die öffentlichen Diskurse und gesellschaftliche Teilbereiche…
…sind Hauptschauplätze dessen, was ich den hybriden Krieg nenne. Also sind wir hier mit drei von vier ausnahmslos befaßt, konfrontiert. Was den aktuellen Überfall auf die Ukraine ausmacht, hat eine komplexe Vorgeschichte. Die fand auch in unserem Land statt und ereignet sich weiter in offenen wie verdeckten Kontroversen. Ich denke, niemand kann sich heraushalten, alle sind involviert. Deshalb hab ich mich zu meiner besseren Orientierung um die schon erwähnte Typologie bemüht.
Sprache, Dresscode, Rituale. Das war einst kontrastreicher und leichter zu identifizieren. Die schwarzen Hemden in Italien, die braunen Hemden unserer Leute. Armbinden mit Hakenkreuzen. Das Schachbrett der Ustaschen. Die Pfeilkreuze der Hungaristen. Das sind Requisiten einer menschenverachtenden Operette. So wird das heute bei uns nicht mehr gemacht.
Der Neofaschismus wird – umgekehrt – in die Ausstattungen verschiedener Subkulturen hineingewoben. Er paßt sich in den Codes an das jeweilige Milieu, an bestehende Subkulturen an. Der Neofaschismus ist in diesem Sinn gesellschaftsfähig geworden und längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Vielschichtige Identitäten
Wir sind als soziale Wesen vielfach zugehörig, können nach unterschiedlichen Merkmalen beschrieben und bestimmten Milieus zugeordnet werden. So eignen sich neofaschistische Elemente problemlos, in diesen oder jenen Lifestyle integriert zu werden. Das ist eine der bedeutenden Kulturleistungen der Neuen Rechten.
Ich arbeite vorzugsweise mit dieser Typologie:
1) Die Zierfische
2) die zeitlose SA
3) die nächste Bourgeoisie und
4) die Junker
Unzählige Schwärme von Zierfischen bilden den Nährboden auf dem der Neofaschismus hauptsächlich durch konsequente Desinformation gedeiht. Aus meinen Begegnungen und meiner Recherche sehe ich auf diesem Feld eher selten Personen mit einer elaborierten Ideologie, die so ein Ideenwerk auch in einer Debatte eloquent vertreten könnten.
Da ist viel „Gefühltes“ und ein Stückwerk von gefälligen Headlines. Da ist viel Phrasendrescherei und wer dem Argumente entgegenhält, wird gerne als „abgehoben“, als „elitär“ beschimpft.
Zierfische
Ich erlebe die Zierfische eher als eine Art der Desinformations-Junkies, die Slogans und Memes verbreiten, Statements anderer Leute zitieren und ausstreuen. Sie haben anscheinend selbst kaum Originäres zu sagen, begnügen sich mit kleinen Polemiken, bewähren sich als Lakaien der nächsten Bourgeoisie sowie als wogende Masse, aus der heraus die zeitlose SA Aktionen setzt.
Diese zeitlose SA…
…baut Druck auf, geistert durch Social Media, macht Stimmung bei Veranstaltungen und schikaniert Andersdenkende. Je nach Art der Gewaltbereitschaft zeigen sie sich als Influencers, Claqueure oder Haudegen. Suchen sie die reale soziale Begegnung, werden Andersdenkende und vor allem Medienleute (soweit man sie man erkennt) beschimpft, bedroht, auch körperlich attackiert.
Das SA-Personal findet man auch auf Bühnen oder Ladeflächen, von wo aus sie per Lautsprecher kühne Reden schwingen. Nein, keine rhetorisch bemerkenswerten Leistungen. Es ist eher ein bekennerhaftes Pöbeln und launiges Süßeln, um damit Liebe, Freiheit und Demokratie zu beschwören.
Wären diese Leute geschichtskundig, sie würden eventuell zu einer Neufassung des Horst-Wessel-Liedes tendieren: „Die Fahne hoch / die Reihen fest geschlossen / SA marschiert / Mit ruhig festem Schritt…“ Wie erwähnt, hier lebt die Bekennerschaft, nicht ideologisch fundierte Konzeptarbeit.
Die nächsten Bourgeoisie
Diese kommt von der nächsten Bourgeoisie und aus den Kreisen der Junker. Für beide Milieus ist all das vor allem ein Geschäftsmodell. Das sehe ich übrigens als ein Wesensmerkmal des Faschismus. Er soll Profite lukrieren. Auf der Ebene der Bourgeoisie betrifft das vor allem ganz normale Angebote von Gütern und Dienstleistungen.
Dabei kommen auch Teile der Zierfisch-Liga zum Zug, da ja mehr als die Hälfte heimischer Betriebe EPU sind. Einpersonen-Unternehmen, von ein bis zwei Leuten getragen. Wellness, Wahrsagen, Lebensberatung, allerhand Wässerchen und Essenzen, Amulette und Traumfänger, tausende Dinge brauchen Kundschaft.
Aber Ideologieproduktion ist schließlich auch ein Business. Dazu kommt die gesamte mediale Begleitung. Das Einrichten und Betreuen von Plattformen wie Info-Kanälen. Das Anbieten und Vertreiben von Drucksorten, von Tonträgern, von Nippes. Das Organisieren von Vorträgen und Workshops, von Retreats und Festivals. Es ist ein Business ohne Grenzen, in dem mittelständische Betriebe gedeihen.
Die Junker
Mit dem Typus der Junker meine ich Profiteure solcher Bewegungen, die sich meist auf keinem der drei vorgenannten Felder besonders exponieren. Sie sind gut situierte Imageträger und versierte Machtmenschen mit einem Anführerpotential. Ihnen genügt völlig jener Machtgewinn, der sich aus einem bevorzugten Zugriff auf Ressourcen und menschliches Verhalten gewinnen läßt. Das heißt, man ist in einer gute Position in Wirtschaft, Verwaltung oder Politik, nicht zuletzt auch in der Wissenschaft. Man verfügt über Personal. Man bietet Charisma an.
Manche von ihnen mögen auch etwas zu den ideologischen Konzepten beitragen, die meisten von ihnen kommen aber garantiert ohne spezifische Ideologie aus. Würde ihnen zum Beispiel der Buddhismus ähnliche Machtgewinne auf etwas leichterem Weg versprechen, dann wären sie Buddhisten.
Aber jedes der vier Milieus bezieht Wirkmächtigkeit auch durch allerhand Mitläuferei sowie durch Fake-Personen, also Avatare. Das sind gefälschte Akteurinnen und Akteure, die von Software generiert werden und als Bots durch die Social Media und Medienportale geistern.
Wäre noch zu erwähnen, daß der Neofaschismus enormen Support aus Ignoranz und Passivität bezieht, wie ich sie an Teilen meines Milieus und in der etablierten Politik der Region beobachte. Da wird Unterlassung leicht zu einer Art von Täterschaft…
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