Ich habe schon skizziert, wie eine Neue Rechte sich in Europa ab den 1980er Jahren in einer beeindruckenden Kulturleistung zu verbreiten und etablieren begann. Ich habe erzählt, wie wir rund um 1990 Literatur in die Hände bekamen, die beschrieb, was da vor sich ging. Russische Neofaschisten wie Alexander Dugin sahen sich damals gerne im Westen um, reisten, trafen sich mit Gleichgesinnten. (Wien wird prominent genannt.)
Da ging einiges Hand in Hand, doch im Osten weit radikaler. Die Gleisdorfer Unruhe zeigt uns heute Rückbindungen solchen Geschehens über viele Kilometer hinweg. Dugin im schon erwähnten Interview: „It’s 1981. I didn’t know anything until 1981. Nothing. It’s just that… And then, after 1981, I knew everything.“
Dazu notiert Politikwissenschaftler Andreas Umland, ein ausgewiesener Osteuropa-Experte, in „Kulturhegemoniale Strategien der russischen extremen Rechten“ (Die Verbindung von faschistischer Ideologie und metapolitischer Taktik im „Neoeurasismus“ des Aleksandr Dugin), was anno 2001 über Dugin zu sagen war.
Umland: „So hatte er bereits 1989 während einer Reise durch Westeuropa eine Reihe bekannter ultranationalistischer europäischer Intellektueller getroffen, unter ihnen Alain de Benoist, Jean-François Thiriart und Claudio Mutti, die ihn später, wie auch andere westeuropäische Rechtsintellektuelle, in Moskau besuchten und mehr oder minder stark an seinen verschiedenen Projekten mitwirkten.“ (In einem jüngeren Essay nennt Umland ausdrücklich Strache, Le Pen und Konsorten.)
Damit will ich sagen: wir haben das einfach verschnarcht und wohl auch derzeit noch keine klare Vorstellung, was da seit rund 40 Jahren entstanden ist, um auch das westliche Europa völlig zu verändern. Es ist dabei ein neuer Faschismus im Spiel, der sich nicht bloß bei Laune die Straße nimmt. Er geht stellenweise in Waffen und nimmt sich längst auch Ländereien; wie Rußland es mit der Ukraine versucht.
Begriffe
Zur Orientierung, soweit es meine Glossen angeht: den Begriff Faschismus verwende ich für die historischen Originale der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dabei ist der italienische Faschismus konstituierend, aber nur der Nazi-Faschismus beispiellos eng mit dem Holocaust verknüpft.
Rechtsradikale Formationen, die sich darauf beziehen, nenne ich Neonazi. Sie bleiben mit dem Holocaust verbunden. Andere, Gruppen ohne diese Nazi-Rückbindung, die zum Beispiel im Sinne der Kriterien von Umberto Eco faschistische Merkmale zeigen, nenne ich Neofaschisten.
Der Unterschied: Nach diesen einfachen Kriterien rangieren Neonazi bei uns als politische Kraft außerhalb des Verfassungsbogens, aber Österreich hat keine Probleme mit einer neofaschistischen Partei, deren Wählerpotential erheblich ist.
Wie uns die Neonationalbolschwiken gemäß Dugin zeigen, kann man obskur, bellizistisch und gnadenlos in Herrenmenschen-Art losschlagen, ohne auf Holocaust-Verfahren angewiesen zu bleiben. Den Antisemitismus gab es freilich längst vor den Nazi. Der läßt sich sowieso immer zur Mobilisierung von Menschen einsetzen.
Neofaschismus kam als Begriff für Dugins „Vierten Weg“ nicht in Frage. Man ist ja schließlich kein Italiener, auch kein Refurbish-Domestik. Der Begriff Neue Rechte ist a) zu westliche und b) zu knieweich. Also „Vierte politische Theorie“. Und für Boss Putin, an dem man sowas nicht vorbeischmuggeln kann: Neonationalbolschewismus. Das hat einen schönen Bezug zur Vergangenheit, beinhaltet einen Hauch Zarismus, ohne kommunistisch sein zu wollen.
Metaphorisch ausgedrückt: Ohne Weihrauch geht es auch für Herrenmenschen nicht. Schleier, Duft und Benebelung sind stets Teil der Inszenierung. Fehlt bloß noch, daß sich ein Kirchenfürst an diese Bande ranschmeißt. Oh, Moment! Hat er ja getan.
Dazu sollte man den Westlern vielleicht flüstern, daß es in der Orthodoxie keinen Papst gibt, keinen Erst-Chef, dem alle Kirchenfürsten wenigstens formell gehorsam schulden. Orthodoxe Kirchen sind autokephal, was bedeutet, jede, die griechisch-, serbisch-, bulgarisch-, sonstwie-orthodoxe Kirche, hat ihren eigenen Erst-Chef.
Hier ist es Seine Heiligkeit Kyrill I. Gundjajev, Patriarch von Moskau und ganz Rußland, der am 20.11.1946 in Leningrad in die Familie eines Priesters geboren wurde. Seine Heiligkeit hat sich mit Anlauf bei Putin angebiedert. (Dazu mehr in der nächsten Glosse.)