Die Unruhe von Gleisdorf äußert sich nun seit Monaten mit erheblicher Lautstärke. Woche für Woche. Die Stimmen aus dem Rathaus sind dagegen sehr moderat, kaum je zu vernehmen. Und auf der Straße? Vor einigen Tagen tauchten ein paar Billboards auf. Eines von fünf Posters in der 11.000-Seelen-Stadt, jenes beim Supermarkt, wurde anonym abgeräumt. Die anderen sind noch da.
Diese Botschaften von „c_ollex“ teilen sich Plakatständer mit normalen Ankündigungen der hiesigen Kulturabteilung, könnten also ebensogut übersehen werden. Ist die markante Headline „QUER GESAGT“ eventuell ein Derivat des „QUERDENKENS“? Nein. Die angehängten Botschaften sprechen vom Gegenteil.
Wie erwähnt, fünf Statements in den Straßen, die bisher von tausenden Demonstrantinnen und Demonstranten zur Bühne ihrer Performances gemacht wurden. Das ergibt gewissermaßen eine homöopathische Dosis.
Die Formation „c_ollex“ ist bisher in Gleisdorfs Kulturgeschehen noch nicht aufgetaucht. Die ausdrückliche Erwähnung „eine Kunstaktion“ rückt das Ganze in die Tradition von Konzeptkunst und Interventionen.
Mein Nachfragen hat ergeben: Gleisdorfs neuer Kulturreferent Karl Bauer widmet dem Projekt seine Patronanz. Das Team „c_ollex“ will anonym bleiben, weil man Repressalien befürchtet. Das erscheint mindestens im Kunstkontext ungewöhnlich zurückhaltend.
Die Intervention im öffentlichen Raum, eigentlich kaum wahrnehmbar, letztlich mühsam zu finden, als eine Reaktion auf tausende Leute, von denen die Stadt regelmäßig mit deren Interventionen bespielt wird?
Klärungsbedarf
Was ist und was soll der öffentliche Raum und wer darf ihn mit welchen Inhalten bespielen? Was sind öffentliche Diskurse und was ist „Die Öffentlichkeit“? In welche Wechselwirkung kommen demnach öffentliche Raum und öffentliche Debatten? Wie läßt sich öffentlicher Diskurs mit der Furcht vor Repressalien verknüpfen? Wie kann man also privat bleiben, wenn man öffentlich agieren möchte? Was bedeutet das für die Prinzipen einer Res publica?
Man hätte annehmen können, das Kulturvölkchen der Region habe ein spezielles Interesse am Zustand des geistigen Lebens in der Oststeiermark. Umso mehr, als sich dieses geistige Leben durch die Social Media über alle Grenzen hinaus entfaltet, aber auch umgekehrt, von außen massive Einflüsse erlebt.
Es ist nicht mehr wie zu Zeiten von Emile Zola, als er mit seinem „J’accuse!“ den französischen Staat herausgefordert hat. Vor allem die aktuelle Mediensituation überfordert uns stellenweise noch in gegenwärtigen Auseinandersetzungen.
In Gleisdorf ist es – wie erwähnt -nicht bei mediengestützten Debatten geblieben. Seit vielen Wochen finden allwöchentlich laute Protestmärsche und Kundgebungen statt. Die werden geradezu von einem Sturm der Mitteilungen via Social Media begleitet. Sehr laute Statements handeln von Liebe, Freiheit, einem Österreich als Diktatur und klaren Positionen gegen die Corona-Impfungen, gegen diverse Maßnahmen und gegen die Impfpflicht.
In Ansprachen, Sprechchören und Postings wird die Republik als „Diktatur“ etikettiert, werden Andersdenkende mindestens verhöhnt, oft verunglimpft, wird als „Zensur“ behauptet, wenn die Ansichten der Protest-Gemeinschaft nicht in allen Medien vorkommen.
Wie antworten wir darauf? Gibt es Dialoge? Diese „Intervention“ ist derzeit noch im Stadium „Wasch mich, aber mach mich nicht naß!“ Da ist Gleisdorfs Kulturpolitik im Moment schon einen Schritt weiter. Der neue Kulturreferent zeigt Flagge: „Kultur im Krisenmodus“.