[Bezugnehmend auf das Statement von Anna Urdl] Es ist schon ein gesellschaftspolitisches Schmankerl, dass wir uns in unserer Familie in unserem Berufsleben mehr als 40 Jahre lang für Rahmenbedingungen eingesetzt haben, die allen Menschen mit Behinderungen aktive Teilhabe am Leben, in der Bildung, in der Arbeit, in der Familie, in der Freizeit, … ermöglichen sollten. Jetzt, wo unsere Familie Leistungen braucht, stehen sie nicht zur Verfügung.
Bis vor zehn Jahren ist das in Zusammenarbeit mit den Gemeinden und der Landesregierung auch gut gelungen. Alle Kinder, deren Familien das wollten, bekamen einen Kindergartenplatz, die Familien bekamen Unterstützung, damit ihr Kind zu Hause gut aufwachsen konnte, wir hatten zumindest in der Oststeiermark gute Rahmenbedingungen, damit alle Kinder die Schule besuchen konnten, die das wollten, es gab ein Recht auf Unterstützung beim Wohnen, auf einen Betreuungsplatz, … . Es gab keine Wartelisten, so wie heute wieder.
Aber dann: dann kam die „Reformpartnerschaft“ in der Steiermark. Reform bedeutete im Wesentlichen, ohne sozialpolitisches Knowhow Budgetkürzungen um bis zu 30% durchzusetzen. Dass wir heute wieder davon reden müssen, dass wir im Betreuungs- und Gesundheitsbereich kein Personal mehr finden, weil die Arbeitsbedingungen sich massiv verschlechtert haben, ist u.a. den damaligen Entscheidungen der von LH Voves und LHStv. Schützenhöfer geführten Reformpartnerschaft geschuldet.
Wir alle haben damals darauf aufmerksam gemacht, dass die Betreuungsleistungen nicht mehr gesichert sein werden, wenn die Arbeitsbedingungen so viel schlechter sind. Um eine Lösung zu finden, habe ich damals im Namen des Dachverbands dem zuständigen Landesrat Schrittwieser vorgeschlagen, das System unter dem Vorbehalt gleicher Budgets neu zu überarbeiten und darauf zu schauen, dass Schwerpunkte gesetzt werden und nicht linear gekürzt wird.
Er antwortete: „Entweder Ihr helft mit, das umzusetzen, was ich sage, oder ich mache es ohne Euch!“ Das hat er dann gemacht.
Ich würde gern die Evaluierung dieser damaligen Maßnahmen sehen: ich bin sicher, das System hat sich verteuert, statt verbilligt. Wer z.B. bei Menschen mit Behinderungen in wesentlichen Phasen ihres Lebens spart, macht sie ein Leben lang wesentlich unselbständiger.
Die Frage nach einer Evaluierung würde ich heute auch an den Leiter des Landesrechnungshofs, Herrn Drobesch, richten. Er hat nämlich als Kabinettschef diese kurzsichtige Politik entwickelt und alle Systempartner schlecht behandelt. Ich wäre an einer Evaluierung der damaligen Kürzungen im Sozial- und Gesundheitsbereich interessiert.
Aber Evaluierungen sozialpolitischer Maßnahmen sind in der Steiermark nicht üblich. Der Großversuch an allen Betroffenen erfolgte aufgrund von Vorurteilen und im Blindflug. Verantwortlich ist wieder einmal niemand. Und ausbaden müssen es u.a. die Familien und die Kinder (wie im Brief der Urdls zu lesen).
Ergänzend
Frühförderung, Familienentlastung und Therapieleistungen werden für Kinder nach wie vor finanziert. Aber der Bildungsbereich ist ein Unglück. Weder im Kindergarten, für den das Land zuständig ist, noch in der Schule, für die der Bund zuständig ist, sind die Rahmenbedingungen ausreichend gesichert. Besonders schlimm ist es im Schulbereich, weil die dauernd wechselnden Bundesregierungen dauernd wechselnde Schwerpunkte gesetzt haben.
Derzeit gibt es gar keine mehr. Dass es vom Land finanzierte schulische Hilfskräfte gibt, löst das Problem nicht. Denn sie sind organisatorisch nicht in die Schule eingebunden (außer dass sie sich dort aufhalten dürfen). Wie der Behindertenanwalt des Landes berichtet, gibt es in der Bildungsdirektion nach Auflassen der Funktion der Sonderschulinspektorin gar niemand mehr, der den Bereich regeln soll. Man meint damit offensichtlich, dass wahre Inklusion dann geschaffen ist, wenn sich um die Bedürfnisse behinderter Kinder niemand mehr kümmert. Es müssen sich eh alle drum kümmern.
Doch solange wir nach dreißig Jahren schulischer Bemühungen um Integration / Inklusion heute in den meisten Regionen schlechtere Bedingungen haben als vor zwanzig Jahren, geht das nicht. Von dieser Bundesregierung haben wir dazu bisher noch gar nichts gehört.
+) Vorlauf | Fortsetzung
+) Die Betrachtungen im Überblick
Redaktioneller Hinweis
Franz Wolfmayr hat vor Jahrzehnten mit seinen Leuten die Chance B gegründet, heute: „Wir bieten soziale Dienstleistungen für die Menschen in der Östlichen Steiermark und unterstützen ein erfülltes Leben für alle.“ Er war dann geraume Zeit Präsident der EASPD Brussels gearbeitet: „European Association of Service providers for Persons with Disabilities“. Dort ist er noch als Senior Advisor tätig, außerdem Geschäftsführer / der Zentrum für Sozialwirtschaft GmbH.