Gleisdorf: Betrachtungen #4

An einer Stelle hieß es am Gleisdorfer Kirchriegel: „Ihr Lieben, ein wunderbarer Friedens- und Freiheitskämpfer, ein Mensch mit einem riesengroßen Herzen, hat uns einen wunderschönen Song geschickt und geschenkt.“ Reden wir nun also ein wenig unter Kolleginnen und Kollegen.

Ich bin – wie schon erwähnt – Künstler, hauptsächlich Autor, bin der Musik eng verbunden. Also hänge ich an Worten, die einerseits klangliche Qualitäten haben, andererseits als Begriffe etwas bezeichnen, was sie nicht sind.

So geht Semantik: das Wort ist etwas anderes als das, was das Wort bezeichnet, worauf es verweist. Dazu kommen Kontext und Subtext. Aus diesen Zusammenhängen und aus Spannungsverhältnissen zwischen diese Aspekten bezieht die Poesie ihre Möglichkeiten, denn da ist Spielraum für Deutungen und Bedeutungen.

Poesie funktioniert naturgemäß anders als der Sachdiskurs. Wir Menschen brauchen einen bunten Strauß ganz verschiedener Mitteilungsmöglichkeiten, damit Verständigung gelingt. Als leidenschaftlicher Lyriker bin ich den Liedern zugetan. So oder so, eine Grundbedingung bleibt: Inhalte, Inhalte, Inhalte! Und der Freiheitskampf?

Die Rebellen
Ich habe schon erwähnt, daß mich dieses Thema besonders interessiert. Das liegt ganz wesentlich in meiner Familiengeschichte und in meiner Kindheit begründet. Ich werde später noch skizzieren, was das überdies mit organisierten Antisemiten, Nazi und Partisanen zu tun hat. Außerdem hat es mir etlichen Balkanreisen zu tun, auf denen ich an Orte gegangen bin, wo es richtig weh tut.

(Bild: AktionFreieKunst, CC BY-SA 4.0)

Kurz: ich bin die Brut eines düsteren Clans und hab daher eine sehr authentische Anschauung, wovon Frieden wie Freiheit in einer Gemeinschaft bedroht werden können. Ich kenne die physischen und psychischen Methoden solcher Praktiken, bin gewissermaßen ein Insider.

In der Steiermark haben wir einen historischen Referenzpunkt für den Begriff Freiheitskämpfer. Sozialdemokrat Koloman Wallisch hatte sich mit seiner Frau Paula dem aufkommenden Faschismus entgegengestellt. Er wurde im Februar 1934 unter fragwürdigen Bedingungen standrechtlich verurteilt und hingerichtet. Worüber reden wir nun?

Also Gleisdorf
Eine Rednerin sagte: „Ihr Lieben, ein wunderbarer Friedens- und Freiheitskämpfer, ein Mensch mit einem riesengroßen Herzen, hat uns einen wunderschönen Song geschickt und geschenkt. Philipp Ham Kuman…“

Was man sich in dieser Community unter einem Freiheitskämpfer vorstellt, berührt nicht einmal das, was ich kenne. Es ist die nach Sommer und Wiese duftende Version von aufbegehrenden Momentchen aus dem Ferien-Camp. Es ist ein Beispiel jener „Politik der Gefühle“, die Autor Josef Haslinger 1995 mit einem gleichnamigen Essay beschrieben hat. Aber viele Leute haben möglicherweise keine Bücher, lesen nichts, basteln sich ihre Vorstellung von Politik eben ganz autonom aus ihren Gefühlslagen.

Das Aviso meinte, wie erwähnt, Philipp Ham Kuman und das Lied „Aus mei’m Herz’n kummt dieser Seg’n“. [Quelle] Es ist ein so rührender Vortrag, daß es mir schwer fällt, sowas zu kritisieren. Aber Kritik, das heißt vor allem: vergleichen, damit man sich orientieren kann.

Ein Liedtext gibt mir über die intellektuelle und poetische Kraft des Autors Auskunft. Eine Melodie offenbart etwas Ähnliches auf einer anderen Ebene. Das Spiel auf der Bühne zeigt mir, ob jemand nicht bloß musikalisch, sondern auch virtuos ist.

Philipp Ham Kuman zeichnet für „Guitar Voice, Music, Lyrics“ verantwortlich. Kein „Freiheitskämpfer“ sondern ein Ministrant. Kein Dichter, kein virtuoser Musiker. Was er macht, paßt zu privaten Abenden, aber… Schwamm drüber! Lassen Sie mich meine Ham Kuman-Rezension hier abbrechen.

Diese Darbietung erreicht nicht einmal das Mindestmaß jener Qualitäten, die ich für eine Erörterung unter Künstlern brauche. Aber für private Zwecke ist sowas völlig unanfechtbar und ich habe keinerlei Einwand. Begrifflich unterscheidet man da zwischen Kunst (im Sinn von Gegenwartskunst) und Voluntary Arts, was hierzulande unter „Hobbykunst“ läuft.

Begriffe
Ich will kurz umreißen, wovon zu reden wäre und wofür manche Begriffe stehen. Aus unseren Reihen muß sich ja niemand an Mikis Theodorakis messen lassen, so viel größer ist der in seinen künstlerischen Vermögen gewesen. Auch Leonard Cohen wirft einen sehr langen Schatten. Aber suchen Sie im Internet sein Lied „The Partisan“. Musikalisch raffiniert und inhaltlich, soweit ich das beurteilen kann, eine authentische Darstellung. (Weshalb ich das beurteilen kann? Weil ich mit Rebellen, Kombattanten und Überlebenden von Foltercamps gesprochen habe.)

Zurück zu den Liedern! In meinen Jugendtagen waren es Leute wie Wolf Biermann oder Hannes Wader, die als sogenannte Liedermacher zeigten, was künstlerisch möglich und anregend ist. Wer meiner Generation angehört, wird sich eventuell auch an „Ton Steine Scherben“ erinnern. Oder suchen Sie im Internet das „Barlach-Lied“ von den „Schmetterlingen“ rund um Willi Resetarits.

Solche Musiken hörten wir in Kenntnis älterer Stoffe, wie etwa „Die Moorsoldaten“ („Börgermoorlied“) oder „Bella ciao“, eins der bedeutendsten Partisanenlieder des 20. Jahrhunderts, das auf Reispflückerinnen Italiens zurückgeht. (Wie bemerkenswert, daß DJ Ötzi 2018 daraus in völlig besinnungsloser Weise ein apolitisches Disko-Hammerl gemacht hat, ohne daß ihm solcher Unfug um die Ohren flog.)

In den internationalen Zusammenhängen kannten wir natürlich Woody Guthrie oder Pete Seeger. (An His Bobness Dylan führte sowieso kein Weg vorbei.) Die Popkultur brachte immer auch Leute hervor, von denen berührende Denkanstöße kamen. Und zwar Legionen exzellenter Leute, Männer wie Frauen.

Suchen Sie im Web zum Beispiel „Ohio“ von Neil Young oder „Sunday Bloody Sunday“ von John Lennon und Yoko Ono. Nehmen Sie „Won’t Get Fooled Again“ von The Who, auch „Comfortably Numb“ von Pink Floyd. Auch rotzigere Sachen wie „Iron Man“ von Black Sabbath oder „Child In Time“ von Deep Purple, bis zu „Zombie“ von The Cranberries, ganz egal! Unsere Popularkultur quillt über von anregenden Stoffen.

Man kann sich also ohne weiteres damit begnügen, bei einem privaten Festlein rund ums Lagerfeuer für gute Stimmung zu sorgen. Wer aber im öffentlichen Raum Platz und Aufmerksamkeit fordert, möge mir bitte etwas mehr bieten… Vor allem: Inhalte, Inhalte, Inhalte!

+) Das Video
+) Von gelingenden Dialogen: Schreiben Sie! (Einige Tips)
+) Vorlauf | Fortsetzung
+) Die Betrachtungen im Überblick

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
Dieser Beitrag wurde unter Corona, Feuilleton abgelegt und mit , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.