Ehre, Scham und Schande
(Warum wird Frauen Gewalt angetan?)
Wien, 2021
Intrada
Wenn ein paar honorige Herren beieinander sitzen, an ihren Drinks nippen, und einer würde sagen: „Gewaltverzicht ist ein Fundament der Zivilisation“, würden etliche in der Runde wohlwollend nicken. Die alten Falken, von denen gerne abgeschabte und etwas verbogene Zitate aus der Antike herumgereicht werden („Der Krieg ist der Vater aller Dinge.“ „In einem gesunden Körper…“) säßen an einem anderen Tisch und würden kaum noch gehört werden.
Der Krieger, der sich als einsamer Held ins Rad der Geschichte wirft… Auweia! Das geht grade noch, wenn Nicholas Cage oder Bruce Willis einen ihrer ganz miesen Filme absolvieren, um ihre Steuerschulden abzuzahlen. Aber wer halbwegs bei Trost ist, kann mit solchen Konzepten nur mehr im Altenheim eines soziokulturellen Kameradschaftsbundes landen.
Realitätsschock
So läuft das alles in der Praxis freilich nicht. Aber auch alte weiße Männer und manch junge Haudegen könnten inzwischen wenigstens verstanden haben, daß wir als Gesellschaft dem Staat das Gewaltmonopol übertragen haben, was unter anderem bedeutet: Gewalttätigkeit ist nicht nur strafbar, sondern geächtet. (Auch verdeckte Fouls!)
Ist das so? Und wie soll ich mir (aber auch anderen) erklären, daß Österreich zum Beispiel quer durchs Land Häuser ausstattet, in die sich Frauen vor gewaltbereiten Männern flüchten können? Es ist ja eigentlich ziemlich düster, das als gegeben anzuerkennen. Und es scheint unverzichtbar zu sein.
Da kommen wir jetzt nicht mehr zu Rande, indem wir Andachtsbildchen verteilen, auf denen Sätze stehen wie etwa „Gewalt ist keine Lösung“. Die Losung lautet eher: „Huston, wir haben ein Problem!“ Wir? (Ähem, räusper, hüstel: wir Männer.)
Konkret
Emina Saric hat sich über viele Jahre mit einem Teil dieser Themen kontinuierlich und konsequent befaßt. In der Praxis von Beratungstätigkeit sowie in der Theorie durch Forschungsarbeit. Weshalb betone ich den „Teil dieser Themen“? Weil Saric bei einem Abend in Graz deutlich gemacht hat, daß man in diesen Fragen genau sein muß. Genau in der Verdeutlichung dessen, worüber man spricht. Es geht auch darum, bei der Größe des gesamten Themenkomplexes nicht beliebig zu werden und verloren zu gehen.
Sie stellte eben ihre aktuelle Publikation vor: „Ehre, Scham und Schande“ (Warum wird Frauen Gewalt angetan?), erschienen im Passagen Verlag. Worin genau unterscheiden sich individuelle Gewaltformen von jenen einer Gemeinschaft? Weshalb ist ein Ehrenmord etwas kategorial anderes als Femizit?
Ich bleibe kurz bei diesem Beispiel, um deutlich zu machen, warum Arbeiten wie die von Saric so wichtig sind. Femizit, also das Ermorden von Frauen, geschieht aus dem individuellen Haß eines Täters gegen Frauen oder gegen eine bestimmte Frau.
Andrerseits muß der Vollstrecker eines Ehrenmordes weder gegen Frauen generell, noch gegen sein Opfer etwas haben. Er handelt im Auftrag einer Gemeinschaft, auf deren Anerkennung er Wert legt und in deren Hierarchie er sich halten oder verbessern will. Das ist eine völlig andere Situation.
Konsequenzen
Klar, für die Opfer ist so eine Unterscheidung nicht mehr von Belang. Aber wir, als eine Gemeinschaft, die sich dem Gewaltverzicht verschrieben hat, und daran kann nicht gerüttelt werden, wir sollten derlei Nuancen beachten und begreifen. Das nützt uns, den Motiven und Mechanismen auf die Spur zu kommen, über die dann einzelne Gewaltausbrüche plötzlich Leben kosten.
Das hat zugleich auch Effekte auf unsere Sprache, denn Sprache ist allemal ein Mittel, um etwas wie „gesellschaftliche Realität“ herzustellen. Wer eine rüde Sprache zuläßt, die sich in Verächtlichkeit über andere ergießt, begünstig die Verrohung von Einzelpersonen, wahlweise ganzer Gemeinschaften.
Außerdem sind Konzepte, wie etwa das von „Ehre“, gut geeignet, den Aggressoren für Gewalttaten „Legitimation“ vorzugaukeln. Kaum ein Täter, der getötet hat, will sich selbst als Verbrecher sehen. Da werden dann „gute Gründe“ gedrechselt. Beachten Sie die Berichterstattung aus unseren Gerichten! Immer wieder taucht dabei der Typus auf, von dem eine Frau schikaniert, mißhandelt, schließlich getötet wurde. Dann aber flennt der Mensch vor Gericht und beteuert, er habe diese Frau ja so geliebt.
Sprache schafft Realität. Worte werden oftmals zu Taten. Also ist es sehr anregend, wenn etwa eine Frau wie Saric derlei Zusammenhänge gründlich untersucht und in ziemlich unaufgeregtem Tonfall vorträgt, zu welchen Schlüssen sie kam. Ich denke, wenn uns solche Arbeiten dabei unterstützen, derlei Kräftespiele zu dechiffrieren und die Abläufe zu verstehen, dann haben wir zunehmend bessere Karten, allerhand Gewaltspiralen zu stoppen, bevor größere Verletzungen stattfinden.
Das heißt zwingend, daß vor allem auch wir Männer Anregungen erhalten, wo in unseren Konstruktionen von Ich und Wir, in unseren bevorzugten Bildern und Posen, die Ansätze zu Eskalationen stecken. Wir müssen darüber reden können und für solche Gespräche Inputs aus anderen Positionen und Zusammenhängen bekommen, diese einbeziehen.
Der Grund dafür ist simpel. Was sich als eine vorherrschende Männerkultur beschreiben und erleben läßt, hat längst gut geölte Mechanismen eingebaut, die eigenen Grundsätze gegen Einwände abzuschotten. Und das ist nur eines der Probleme, wegen derer wir in manchen Entwicklungen schlicht feststecken.
Ich bleibe bei dem oben erwähnten Beispiel: eigentlich darf es ja nicht wahr sein, daß diese Gesellschaft im gesamten Land Häuser ausstatten und betreuen muß, in die sich Frauen vor gewaltbereiten Männern flüchten können. Und dann wären da noch x andere Beispiele, in denen Gewaltanwendung zum Zug kommt, um sich Vorteile auf Kosten anderer Menschen zu sichern, um jemandem Gefügigkeit zu empfehlen etc. Kein Zweifel, wir müssen reden! (Siehe dazu auch: „Ausgelagerte Männlichkeit„!)
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