Es ist so leicht dahingesagt: Wir! Das handelt oft von völlig unüberprüften Annahmen. Ich hab es mir inzwischen abgewöhnt. Dieses sagenhafte „Wir“ hat keinen breiteren Konsens. Gut, ich sag sicher noch gelegentlich: „Wir, das Kulturvölkchen.“ Damit ist aber ein Metier gemeint, ein Berufsfeld, sozial völlig fragmentiert.
Ich hab vermutet, daß ich in meinem vertrauten Milieu auf jeden Fall Literarität voraussetzen darf. Das meint die Fähigkeit Text zu lesen und zu verstehen, was Kontext und Subtext einschließt. Dazu gehört es auch, die Zertifizierung von Quellen zu beachten. Was taugt die Quelle? Was spricht für die Quelle?
Nun sehe ich, daß neuerdings in weiten Bereichen meines Milieus der „Doctor youtubis causa“ regiert, meist ein Dr. y. c. mult. Das geschieht vor dem Hintergrund stümpernder Universitätsbereiche, in denen miserable Arbeiten angenommen werden, um akademische Würden zu verleihen, was unserem geistigen Leben definitiv schadet.
Da hätte ich aktuell angenommen, daß etwa die Kulturpolitik sich in der Anwaltschaft unseres geistigen Lebens sieht und dessen Bedingungen, die wir seit rund 2.500 Jahren entwickelt, erprobt und verfeinert haben, verteidigen würde.
Was aber geschah etwa jüngst rund um eine österreichische Ministerin, die wegen akademischer Unsäglichkeiten und evidentem Gesetzesbruch demissionieren mußte? Es gab seitens der Kulturpolitik keine Verteidigungsrede zugunsten der Mühen des Wissenserwerb.
Es gab a) Schweigen und b) freundliche Grußadressen an jene radikale Aufsteigerin, die sich bis heute – soviel ich weiß – für ihre Attacke auf das geistige Leben des Landes nicht entschuldigt hat.
Davor waren europaweit wissenschaftliche Periodika gelegentlich in Kritik geraten, weil man es bei der Prüfung eingereichter Manuskripte da und dort nicht so genau nahm, was Publikationen zur Folge hatte, die den üblichen Regeln nicht genügten.
Wo Protektion vor Kompetenz geht, was in Österreich wieder merklich zunimmt, scheint es derzeit schwer zu sein, allgemein plausibel zu machen, daß sich die Mühen von Wissenserwerb lohnen. Dazu gehört eben auch, daß man sich um Erfahrungen und Kriterien bemüht, damit man die Qualität von Quellen beurteilen kann, was anscheinend völlig aus der Mode kommt.
Wenn dann freilich der „Doctor youtubis causa“ per Fernstudium ebenso mühelos wie unterhaltsam erworben werden kann, wird es schwer, mühsamere Wege als relevant herauszustellen.
Dann sah ich, wie kulturpolitisches Personal einer Ministerin, die sich im Geistesleben ein Stück Korruption geleistet hatte, um ihre Berufslaufbahn aufzuwerten, zum Abschied voller Wehmut hinterherwinkte und sich mit einem Seidentüchlein kleine Tränen aus dem Augenwinkel wischte („Jetzt hat die Steiermark niemanden mehr in der Regierung.“).
Da könnte ich mich eigentlich mit meiner Vorstellung von Wissensarbeit ruhig von einer hohen Brücke stürzen, wo inzwischen auch erklärte Eliten derartige Nummern abliefern.
Mir ist derzeit etwas rätselhaft, welchem „Wir“ ich mich zurechnen möchte. Daher bleibt es vorerst bei einem sehr kleinen überschaubaren Kreis von Menschen, an denen ich unter anderem intellektuelle Selbstachtung erkenne. [Fortsetzung]
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(Notizen zu einer Situation, die ich in meinem Logbuch unter „Die Stunde der Conquista“ skizziert habe.)