Netter Abend im Maresi Land

Igor F. Petkovic erläuterte eben in der Akademie Graz seine Ausstellung „Willkommen im Maresi Land“. Diese Vernissage fällt genau in jene Tage, wo Staatsleute Europas der Schlacht von Verdun im hundertsten Jahr danach gedenken.

Von links: Astrid Kury, Mirjana Peitler-Selakov und Igor F. Petkovic

Von links: Astrid Kury, Mirjana Peitler-Selakov und Igor F. Petkovic

Der Große Krieg, wie er damals hieß, hat auch seine Spuren in der Ausstellung. Petkovic ist den harten Kontrasten seiner eigenen Identität auf der Spur. Das Kind zweier Ethnien findet sich in Serbien als „Schwabo“, in Österreich als „Tschusch“, wird also dem jeweils anderen Bezugssystem zugerechnet.

Wo genau solche Kontraste mit nationalistischen Motiven aufgeladen werden, haben wir sehr schnell geistige Fronten, die umgehend zu Kriegsschauplätzen führen können. Das machen vorgefundene Artefakte und angefertigte Werke von Petkovic deutlich.

Wer diesen historischen Hintergrund wenigstens skizzenhaft kennt, wird diese Ausstellung mit völlig anderen Augen sehen, als wenn man frei von diesen Zusammenhängen durch die Akademie-Räume streift.

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Diese Station, Teil des Projektes „From Diaspora to Diversities“, folgt den Tagen, da Österreich einen außergewöhnlichen Präsidentschaftswahlkampf erlebte, in dem vaterländisch gesinnte Kreise sich bei den Vorstellungen vom Untergang Europas verblüffenden Erregungen hingaben, wozu paßt, was Frankreichs Präsident Françoise Hollande dieser Tage in Verdun über solche Leute sagte:

„Sie denunzieren Europa als Ursache des Übels und vergessen dabei, dass Europa aus dem Unglück geboren wurde.“ [Quelle: Die Zeit]

Eine Vernissagen-Besucherin meinte, man könne die Ausstellung nur schwer verstehen, wenn man ohne die Führung durch den Künstler auskommen müsse. Eine interessante Überlegung.

Darf ich erwarten, daß wir Enkelkinder eines multiethnischen Imperiums noch die geringste Ahnung haben, welche Traumata uns aus diesem „Zweiten dreißigjährigen Krieg“ mentalitätsgeschichtlich hinterlassen wurden?

Darf ich voraussetzen, daß vor allem jene, die sich eben über den Verlust unserer Kultur genauso sorgen wie um die „Wurzeln des Abendlandes“, die markantesten Symbole dieser Kultur kennen und mit einigen visuellen Codes unserer Historie vertraut sind?

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Dann ginge es ja sehr gut ohne Führung, oder wie es Kant in seinem Aufsatz zur Aufklärung formuliert hat: „…sich seines Verstandes ohne Anleitung anderer zu bedienen“.

Petkovic gibt mit der Reflexion seiner Identität außerdem zu bedenken, daß die bedeutenden Ereignisse des radikalen 20. Jahrhunderts immer auch ihre Entsprechungen im Leben einzelner Menschen haben, was sich wiederum zu Gemengelagen fügt, die einzelne Gruppen laut und deutlich werden lassen, wie die letzten Wochen es uns in Österreich gezeigt haben.

Die Ausstellung, eine Koproduktion von Kunst Ost und Akademie Graz, läuft vom 1.06.2016 bis  10.06.2016 in der Schmiedgasse 40/I, 8010 Graz.

— [Dokumentation] —

Igor F. Petkovic bietet am Dienstag, dem 7. Juni 2016, ab 19:00 Uhr eine Lectureperformance mit Artist Talk und öffentlicher Diskussion an: „HEIMAT:MACHT:MIGRANTig“; ebenfalls in der Akademie Graz.

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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