Puch-Fahrräder

Es liest sich leichter an einem Tisch sitzend als auf einem Sofa, denn das Buch ist ein Brocken von einigem Gewicht. Der Verleger hat zum Glück nicht gespart. Feines Papier, geräumiger Satzspiegel, alles sehr übersichtlich. Wer das Metier kennt, weiß, daß die zwei Autoren hier eine Titanenarbeit geleistet haben.

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Es geht um „Die Geschichte der Puch-Fahrräder“, verfaßt von Walter Ulreich und Wolfgang Wehap, verlegt im Weishaupt Verlag. Weshalb die große Geste zum Einstieg? Es ist ein sehr großes Thema. Puch ist österreichische Folklore. Die Lebensgeschichten mehrer Generationen sind an irgendeiner Stelle mit einem Produkt des bedeutenden Konzerns verknüpft.

Das meint freilich gesamt die historische Steyr-Daimler-Puch AG mit Erzeugnissen vom Fahrrad über Traktoren und Lastwagen, hin zu Bootsmotoren und Sturmgewehren. Also weiß jeder was oder glaubt etwas zu wissen. Vieles ist aber nicht dokumentiert. Manche Dokumente sind in alle Winde verstreut. Wo die ganze Geschichte in der Historie des Fahrrades wurzelt, hat man damals allerhand sowieso nicht aufgezeichnet.

Dazu kommt, daß Industrie im 20. Jahrhundert bedeutet, die Company war ständig in Bewegung. Hier wurde was dazugekauft, da etwas abgestoßen. Fusionen und Filetierungen sind fixer Bestandteil des Geschehens. Durch solche Dschungel des ahnbaren, des ausständigen und des gesicherten Wissens haben sich die Autoren gearbeitet, um die Geschichte von Altmeister Puch freizulegen, welche in ihren Konsequenzen über den Fahrradsektor bis in unsere Gegenwart heraufreicht.

Wolfgabg Wehap (links) Und Walter Ulreich (Foto: Archiv Wehap)

Wolfgabg Wehap (links) Und Walter Ulreich (Foto: Archiv Wehap)

Dazu sei erwähnt, was nicht gerne laut ausgesprochen wird. In der Sammler-Szene ist viel Wissen vorhanden, auch so manches an seltenen Quellen und Dokumenten, aber diese Szene ist nicht gerade ein Hort der Nächstenliebe. Es ist keinesfalls selbstverständlich, daß man alles verwerten kann, was man schon gesehen hat. Aber ich sollte zur Sache kommen. Ulreich und Wehap pflegen einen feinen Erzählstil, so daß die Lektüre Freude macht.

Das Buch schließt eine wichtige Lücke. Bisher gab es kein bündiges Werk über den meisterlichen Mechaniker Johann Puch, der als ethnischer Slowene während seiner Kindheit noch Janez Puh geschrieben wurde. Manche Details über sein Leben, da er sich in Arbeit verzehrt hat, sind auf etliche Quellen verteilt. Manches ist bloß Kolportage. Hier wird es überblickbar.

Die Puch’sche Lebensgeschichte ist zugleich die Geschichte seines Werkes. Beides verlief, wie man nachlesen kann, sehr abwechslungsreich. Im Taumel eines Umbruchs von der Ersten zur Zweiten Industriellen Revolution war der Bedarf an Ideen und Kapital unermeßlich. Dabei veränderte sich das Antlitz der Welt. Puchs Geschichte illustriert diesen Prozeß exemplarisch, steht für den Auftakt des radikalen 20. Jahrhunderts.

Das Buch schildert die Entwicklung des damals revolutionären Fahrzeugtyps in seinen technischen und sozialen Zusammenhängen, zeigt zugleich beispielhaft, wie aus einer kleinen Hinterhof-Werkstatt ein Industriebetrieb von Weltrang werden konnte.

Die Autoren haben erstmals die frühe Phase des Unternehmens gut ausgeleuchtet, als Puch unter der Marke Styria sogar noch Hochräder fertigte. Endlich bekommt man umfassendes Katalogmaterial zu sehen, von dem einem bisher Sammler bestenfalls erzählt haben.

Wer sich zeitig für das Buch interessierte, konnte diese Bildpostkarten mit historishen Motiven erhalten

Wer sich zeitig für das Buch interessierte, konnte diese Bildpostkarten mit historishen Motiven erhalten

Was sich begrifflich aus Steyr, Austro-Daimler und Puch herauskristallisierte, in der Steiermark sprachlich stets unter „Puchwerk“ zusammengefaßt und schließlich vom Magna-Konzern übernommen wurde, ist wie ein schillerndes Mosaik. Ulreich und Wehap haben die Darstellung des Fahrrad-Sektors in seine historischen Zusammenhänge gestellt, ohne einen mit den umliegenden Geschichtsdaten zu überlasten.

So zeigt sich das Fahrrad: Einst ein teurer Wertgegenstand, den sich nur wohlhabende Leute leisten konnten, dann ein Vehikel, um individuelle Mobilität zu revolutionieren, schließlich ein Massengut, stets aber auch in Nischen ein Technologieträger, an dem überraschende Entwicklungen sichtbar werden.

In Graz lief das letzte Puch-Fahrrad am 5. August 1987 vom Band. Der gesamte Zweiradsektor, Fahrrad und Moped, war nach Italien verkauft worden.

Das Buch zeigt außerdem etliche Prototypen, mit denen man in Graz Richtung Zukunft geblickt hatte. Auch die Exporte werden im Buch berücksichtigt, da vor allem die Schritte nach Amerika mit einer Anwendung der alten Automarke Austro-Daimler auf Fahrräder.

Außerdem spielte Puch im Radrennsport öfter eine glänzende Rolle, natürlich auch noch in der Ära italienischer Produktion. Die kürzliche Wiedereinführung der Marke Puch auf dem Fahrradmarkt wird zwar erwähnt, aber nicht näher behandelt. Zu Recht, denn die heutige Massenproduktion hat mit der Grazer Geschichte nichts mehr zu tun.

Doch so ist das eben mit der Industrie, heute mehr denn je. Hier wurde was dazugekauft, da etwas abgestoßen. Fusionen und Filetierungen sind fixer Bestandteil des Geschehens…

+) Warum Bücher? [link]
+) „Die Geschichte der Puch-Fahrräder“ [link]

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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