Kulturpolitik: bleiche Begriffe

Wo die Politik über öffentliche Mittel verfügt, also Entscheidungen trifft, sollten diese Entscheidungen in einer Res publica nachvollziehbar begründet sein.

Das politischer Personal muß im Fall meines Metiers für einen kulturpolitischen Diskurs gerüstet sein. Die Begründungen will ich wo nachlesen können. Kann ich aber nicht. Da haben wir derzeit unter anderem ein semantisches Problem. Sind unsere Begriffe ausgebleicht und beliebig, wissen wir nicht, worüber wir reden.

Stehen wir demnach in der Res publica für eine offene Gesellschaft oder für geschlossene Systeme? Geht womöglich Protektion vor Kompetenz? Das ließe sich leicht klären, wenn politische Entscheidungen begründet werden und diese Begründungen publiziert wären.

Da heißt es zum Beispiel im neuen steirischen Regierungsprogramm: „Das Land Steiermark bekennt sich zur Heimatpflege durch die Bewahrung landestypischer Bräuche und Traditionen.“ Sollte freilich Brauchtum von oben her geschützt werden müssen, dann ist es ja offensichtlich keines. Konkret: Entweder ein Brauch wird von nennenswerten Bevölkerungsteilen gelebt, oder das Genre wechselt auf die Seite einer von oben organisierten Repräsentationskultur.

Das fände ich ja akzeptabel, wenn dabei auf Etikettenschwindel verzichtet werden könnte. Ein ähnliches Problem haben wir mit dem Genre Volkskultur. Es wurde zwar von der Ethnologie längst auf Stand gebracht wovon die Rede ist, aber Politik und Kulturvölkchen der Steiermark sind offenbar an der Höhe der Zeit kaum bis gar nicht interessiert.

Überraschung? Über ein Jahr Zeit, um diskursiv und strategisch vorbauen können.

Ich halte den Vorspann des Regierungsprogramms für kulturpolitisches Karaoke: „Kulturstandort Steiermark stärken – Tradition und Moderne sind gleichberechtigt!“ Dieses Statement ist keine dechiffrierbare Aussage, sondern bloß Framing. Eben weil dabei der Bereich Tradition inhaltlich ignoriert und mit einer Floskel überschrieben wird, während der Begriff Moderne völlig falsche Anwendung findet.

Wer von Tradition spricht, sollte zur Kenntnis nehmen, was tradiert wurde, statt sich eine Privatmythologie von „Tradiertem“ zusammenzuklittern. Dabei ist die Unterhaltungsindustrie kulturgeschichtlich ein recht junges Phänomen. Ich weigere mich, dieses Genre mit vorindustriellen Formen der Volkskultur zu assoziieren. Ich berufe ich mich auf Walter Benjamin, um deutlich zu machen, daß Massenproduktion und Massengesellschaft radikal verändert haben, was wir an Brauchtum und Kultur kennen.

In „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ notierte Benjamin unter anderem: „Um neunzehnhundert hatte die technische Reproduktion einen Standard erreicht, auf dem sie nicht nur die Gesamtheit der überkommenen Kunstwerke zu ihrem Objekt zu machen und deren Wirkung den tiefsten Veränderungen zu unterwerfen begann, sondern sich einen eigenen Platz unter den künstlerischen Verfahrungsweisen eroberte.“

Zeitfenster
Ich hab in der Zweier-Notiz schon betont: „Was aber den Begriff ‚Moderne‘ angeht, kennen wir einen sehr breiten Konsens, daß damit in der näheren Vergangenheit die Zeit zwischen Aufklärung, Französischer Revolution und dem Ersten Weltkrieg gemeint ist.“

Dabei wirkt bis heute ein Prozeß, der wesentlich früher einsetzte. Nämlich die wachsende Vorstellung vom „autonomen Individuum“ im Entbundensein von Rücksicht und Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Ein Prozeß,welcher offenbar mit der Neuzeit einsetzte, also zwischen dem 15. und dem 18. Jahrhundert. (Ah! Fällt es Ihnen auf? Ab dem 18. Jahrhundert sprechen wir dann von der Moderne, die als Epoche mit dem Ersten Weltkrieg zu Ende ging.)

Drückt das nun eher einen Mangel an Selbstbewußtsein oder an intellektueller Selbstachtung aus? (Quelle: Kleine Zeitung)

Leonhard Bauer und Herbert Matis haben diesen historischen Auftritt des Individuums in „Geburt der Neuzeit“ mit Thomas Luckmann so betont: „Vor Beginn der Neuzeit kann man von so etwas wie einer allgemeinen Krise im Verhältnis des einzelnen zur Gesellschaft nicht sprechen.“

Bauer und Matis nennen das im Ergebnis schließlich ein Produkt der „Moderne“ und spezifisch europäisch. Allerdings kannte man schon im alten Griechenland den Typus Mensch, der sich nicht für die Welt und das Gemeinwesen, sondern bloß für sich und seine persönlichen Angelegenheiten interessiert. Für diese Art der Privatperson stand das altgriechische Wort „Idiotes“.

Aber was genau meint nun unser politisches Personal, wenn da die Steiermark auf „Tradition und Moderne“ verpflichtet sein soll? Ich weiß es (noch) nicht.

+) Steiermark 2024 (Zum Regierungsprogramm)
++) Ein Feuilleton (Kulturpolitische Beiträge, laufende Debatte)

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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