Stabilität durch dezentrale Formationen

In unserer Gesellschaft scheint es verlockend zu sein, komplexere Vorgänge oder Formationen zu zentralisieren, von einer Stelle aus unter Kontrolle zu bekommen.

Die Anfänge von Kunst Ost anno 2009, als ich zum Beispiel Möbel für einen Kultursalon am Florianiplatz herangekarrt hab.

Diese Tendenzen kenne ich auch aus dem Kulturbetrieb zur Genüge. Eine völlig antiquierte Position. Wer je das Buch „Überwachen und Strafen“ von Michel Foucault in Händen hatte, kennt dieses Motiv in architektonischer Variante. Benthams Panoptikum. Alle Delinquenten sind von einer zentralen Stelle aus unter Aufsicht.

Für meine Vorstellung von Wissens- und Kulturarbeit abseits des Landeszentrums ist das ein vollkommen ungeeigneter Modus, der erfahrungsgemäß vor allem so lange funktioniert, so lange irgendjemand Gelder aufstellt, folglich Ressourcen verteilt. Ein Echo der Feudalzeit: Gefolgschaft und Lehenstreue werden von Zentrum her belohnt.

Dem steht eine anspruchsvolle Variante gegenüber. Eigenverantwortung in temporären Bindungen, die andere Personen einbeziehen. Das beziehe ich nicht auf Rechtspersonen. Obleute und ein Vorstand in der Zuständigkeit und Haftung für Abläufe, das hat sich bewährt. Aber in der primären Arbeit ist das Konzept eher hinderlich.

Ich war im Jahr 2009 der überhaupt erste Akteur, mit dem das Land Steiermark einen Vertrag im Rahmen eines EU-Programmes schloß, in dem bis dahin Kunst und Kultur für eine Kofinanzierung nicht in Frage gekommen sind: „Die gegenständliche Förderungsvereinbarung bezieht sich auf die für die Durchführung des Schwerpunkts 4 („Leader“) des Österreichischen Entwicklungsprogramms für den ländlichen Raum…“

Kathi Mayr in der Einser-Panier als Salondame im Kultursalon vor dem Rathaus.

Da konnte ich meine diesbezüglichen Annahmen gründlich überprüfen. Ich hatte regelmäßige Arbeitstreffen eingeführt, die an stets wechselnden Orten stattfanden, in jene Gemeinden, wo Menschen ansässig waren, die bei Kunst Ost mitwirkten. Nicht sie kamen zu uns, wir kamen zu ihnen.

Für die Umsetzung hatte ich schließlich den Modus der „autonomen Ortsformationen“ eingeführt. Selbstverantwortliche Kleingruppen, die Beiträge zu größeren Kunst Ost-Vorhaben (April-Festival, Kunstsymposion) erarbeitet haben. Ich hielt mich aus ihren einzelnen internen Schritten völlig raus. Es gab bloß jeweils eine konkrete Schlüsselperson, bei der ich Rechenschaft über das Einhalten unserer Vereinbarungen erhalten konnte.

Demnach gab es zwar eine Hierarchie in der Verwaltung, weil da die Verhandlungen, die Deals, der jeweilige Leistungsaustausch zu den verfügbaren Geldern, die Bedingungen der Kooperation betreut wurden. Aber Eigenständigkeit in der künstlerischen und kulturellen Arbeit, basierend auf unseren Vereinbarungen. Ich halte das nach wie vor für einen sehr tauglichen Modus.

+) Archipel (Das Projekt)

Postskriptum
Zum Stichwort „Benthams Panoptikum“ siehe meine Notiz von genau jenem Tag vor einem Jahr, dem 6. Novemer 2023: „Archipel: Winfried Lechner“!

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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