Mein Vater Hubert, Jahrgang 1924, hatte sich etwas zuschulden kommen lassen, wovon er mir nie erzählen mochte. Er schwieg darüber beharrlich.
Es war wohl der Hauptgrund, weshalb er das Finale seiner Laufbahn als Soldat in einem Bewährungsbataillon verbrachte. Der Mann ließ wenigstens einmal diese Bemerkung fallen, daß es nicht vorgesehen war, manche der Einsätze zu überleben.
Er war also gewandt und war stur genug, nicht zu sterben. Aber sein völlig verwüsteter Körper und seine mutmaßlich zerrüttete Seele erzählten etwas vom Preis dieses Weges. Fragmente mancher Erzählungen und einige seiner Notizen nutzten mir als Teile, die ich über Jahre zusammensetzen konnte, um zu entschlüsseln, was mir in die Wiege gelegt, in den Leib geprügelt und in den Kopf gesetzt worden war.
Mein Vater hatte sich in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre ein Textverarbeitungssystem gekauft und Erinnerungen in die Tasten gehauen, um sie auf heute nicht mehr gebräuchlichen Drei-Zoll-Disketten abzuspeichern. Manche dieser Notizen druckte er über einen sägenden Neun-Nadeldrucker aus und sortierte die Blätter in kleinen Ordnern.
Eines dieser Blätter handelt davon, daß er den „Waldkampf“ für besonders gefährlich hielt, ohne das näher auszuführen. Da befindet eine Passage, von der ich annehme, daß sie für das Kriegshandwerk essenziell ist. Dieser Moment, zu dem Hubert sich erinnerte: „Es gibt nichts schwereres.“
So also die Schlußsituation vieler der annähernd namenlosen Handlanger von brüllenden Kanaillen wie Hitler und Goebbels, von so grotesken Witzfiguren wie Eichmann. Diese grenzenlose Anmaßung einiger Leute und all die korrumpierten Worte, Sätze, um über Ressourcen einer großen Bevölkerung zu verfügen, andere Völker zu berauben, dabei umzubringen, wer einem im Weg war. All die Mannschaften, von denen das umgesetzt wurde. Mein Vater ein Teil davon.
Ich wurde rund ein Jahrzehnt nachdem die Waffen schwiegen geboren. Da hatte sich zwar der Staub gelegt, aber nichts war erledigt. Auf meiner langjährigen Suche nach Klarheit darüber, was das nicht bloß mit meinen Leuten, sondern auch mit mir gemacht hat, bin ich von lächelnden Faschisten aus meiner Verwandtschaft flankiert gewesen, die teilweise sehr alt wurden und nie Gründe fanden, ihre politischen Ansichten zu revidieren.
Einige davon weltgewandt, jovial, manche etwas verschlagen, die meisten nicht einmal halb so versehrt wie mein Vater, der hochdekorierte Veteran. Manche davon Mitläufer, manche Täter.
Ich sehe darin einen der Gründe, weshalb mich die Neofaschisten in unserer Gegend heute so wenig beeindrucken; diese Kopien einer Kopie. Ich bin mit den Originalen aufgewachsen. Das war eine andere Stimmung.
Dazu kommt, daß die zeitgenössischen Kanaillen in unserer Region ganz offensichtlich nicht zu den intellektuellen Perlen der Spezies zählen. Aber ihr Obskurantismus und ihr Organisationsvermögen sind beachtenswert. Und was steht all dem im öffentliche Diskurs gegenüber? Ich suche noch… [Vorlauf]