Ich bin immer wieder überrascht, wenn sich Menschen, die ich überhaupt nicht kenne, in mein Blickfeld schieben, um etwas loszuwerden.
Das könnten sie in einer privaten Mitteilung tun, wenn es bloß um Aufklärung ginge. Aber manche bevorzugen die offene Bühne eines Massenmediums, deren Teil zum Beispiel meine Facebook-Timeline ist. Und da möchten sie mir vor Publikum etwas ausrichten.
Menschen, die offenkundig bloß vorhaben, mir einen Stein durchs Fenster zu schmeißen, mehr nicht. Spannungsabfuhr auf Kosten anderer. Fire and forget. Oder wie? Ich zerbreche mir nicht den Kopf über die Intentionen solcher sozialen Genies, zumal oft ihre eigenen Timelines mehr als aufschlußreiche sind; als ein Tal der öden Ratlosigkeit, das mit Sprüchlein und Bildchen dekoriert wird.
Vermutlich war das in unserer Gesellschaft im Kern ohnehin nie anders. Social Media vergrößert dabei bloß den Spielraum. Aus den Zeiten einer ständischen Gesellschaft haben wir uns solche Muster erhalten: Nach oben wird gebuckelt, nach unten bei Bedarf getreten. Eine grundlegende Disposition von Untertanen.
Das heißt also, ich stünde sozial und intellektuell unter ihnen, weshalb es genügt, mich öffentlich zu rügen. Man muß das nicht begründen? Verkünden statt begründen? Stein durchs Fenster und aus?
Von den Aufdringlingen, die sich so ab und zu in meine Wahrnehmung schrauben, sind mir vor allem Typen wie diese Redaktionsgehilfin auffallend. So nenne ich inzwischen derlei Seelchen, die selbst anscheinend eher nichts zu sagen haben. (Aber schimpfen geht immer.) Deshalb quellen ihre Timelines von Kolportage über, von Zeugs, das andere Leute formuliert haben, nicht sie selbst.
Sie posten in Serie Memes und Bildchen, Massenware des Gefühls und des Gefühlten, wie sie von irgendwelchen Content Creators schlaftrunken runtergestanzt werden. Selber denken? Viel zu anstrengend! Und weshalb nun „Redaktionsgehilfin“?
Als junger Kerl war ich zum ersten Mal sommers in einer Zeitungsredaktion tätig. Die „Neue Zeit“ hatte ein starkes Team alter Routiniers an Bord, welche sich oft mit mir zusammensetzten, um mir was beizubringen. Meine ersten Praxisschritte waren dann zum Beispiel das Umschreiben von Agenturmeldungen.
Diese Stoffe kamen über den Ticker auf Bahnen von Endlospapier. Es war meine Aufgabe, aus solchen Meldungen eine Auswahl zu treffen und daraus kleine Artikelchen abzuleiten. Die Redaktionsgehilfin in den Social Media macht noch nicht einmal das.
Mit gedanklicher Massenware spart man selbst am Denken. Um was zu gewinnen?
Zu viel nötige Denkarbeit? Okay. Der ganze Meme-Schund in ihrer Timeline ist ja immerhin auch ein Statement. Eine Menge unerheblicher Gebrauchsgrafik mit simplen Sprüchlein und so manchem Scherzlein.
Da verstehe ich, daß es ihr lästig ist, jemanden wir mir bei der Arbeit zuzusehen. Wissenserwerb, das Denken und das Schreiben, das Bewältigen größerer Themen sind Formen von Arbeit. Liegt nicht jedem. Eh klar. Muß auch nicht jede auf sich nehmen.
Man könnte freilich wissen, daß Menschen im Neolithikum begonnen haben, arbeitsteilige Gesellschaften zu entwickeln. Ich bin von Beruf Autor, also schreibe ich. Naturgemäß möglichst etwas Gescheites, denn das Dümmliche, wie etwa die bei der Redaktionsgehilfin vorgefundenen Memes, wird eh von anderen Leuten massenweise produziert.
Würden Sie nun einer Ärztin vorhalten, daß sie an Menschen hermdoktert? Würden Sie einem Staplerfahrer vorhalten, daß er die meiste Arbeitszeit mit einem Stapler herumglüht? Der Dachdecker haut Nägel in Dachlatten. Die Köchin kocht. Der Kellner kellnert. Der Schriftsteller schreibt. (Okay, hat sich noch nicht überall herumgesprochen.)
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