[Vorlauf] Eines meiner bevorzugten Mantras lautet: „Wenn wir keine Begriffe haben, wissen wir nicht, worüber wir reden“. Es geht da um Semantik.
Es geht darum, wie sich Begriffe zu dem verhalten, was sie bezeichnen. Rechts und links sind politische Metaphern. Sie gehen auf die Französische Revolution zurück. Als die Generalstände einberufen wurden, zeigte die Sitzordnung, daß rechts vom Parlamentspräsidenten der Adel saß, die Anhängerschaft des „Ancien Régime“, also der alten Ordnung.
Links saß das Bürgertum, darunter die Verfechter einer kommenden Republik. Alte Ordnung rechts, neue Ordnung links. Das sind freilich bloß Denkmuster, die sich je nach Ära und Gesellschaft politisch ganz unterschiedlich manifestierten.
Wenn mir ein schlampiger Umgang mit den Kategorien rechts und links vorgeworfen wird, ist das ein Anlaß, meine individuelle Auffassung von diesem bipolaren Konzept darzulegen. In dem Zusammenhang geistert ja auch irgendwo „die Mitte“ herum, was sich nicht so ohne weiters mit einem anderen, ähnlich klingenden Gedankenkonstrukt deckt: die Mittelschicht.
Die Praxis zeigt ja, daß auch Linke und Leute in einer politischen Mitte zu rechten Denkweisen tendieren können. Im Rückblick scheint dann manches etwas einfacher, weil klarer. Ist das so? Also zum Beispiel: rechts die Nationalsozialisten und links die Kommunisten.
Historiker Ernst Nolte war 1986/87 der Anlaß für einen „Historikerstreit“ rund um die Frage nach der Singularität des Holocaust. Ich denke, es steht heute außer Streit, daß man an Hitler und Stalin allerhand feststellen konnte, was die Menschenverachtung rechts und links gleichermaßen beheimatet erscheinen läßt. War es dann in der Zweiten Republik endlich klarer?
Ich war verwirrt. Der Sozialdemokrat Bruno Kreisky amtierte 1970 bis 1983 als Österreichs Bundeskanzler. Dabei traf er auch etliche Vereinbarungen mit den Freiheitlichen, deren Bundesparteiobmann 1958 bis 1978 Friedrich Peter war, 1970 bis 1986 Klubobmann der FPÖ. Der Jude und ein vormaliger Obersturmführer der Waffe SS, das ist ja heftig links und rechts in einem Zusammenspiel gewesen, war also nicht unvereinbar.
Ist denn nun klar, was links und was rechts politisch bedeutet? Gibt es dabei auch tatsächlich eindeutige Zuschreibungen in den menschlichen Eigenschaften? Na, bestenfalls bei sehr oberflächlicher Betrachtung.
Ich kann ich mich für den Alltagsdiskurs nicht auf politikwissenschaftliche Traktate stützen. Ich brauche etwas leichter Handhabbares, das dennoch eine gewisse Genauigkeit bietet. Dabei nützt es mir wenig, jemandem mit einem Kriterienkatalog eine bestimmte Gruppenzugehörigkeit anzuheften.
Ich brauche etwas Dynamischeres. Allerdings ist unübersehbar, daß man ein rechtes Denken definieren kann, sich rechte Strategien identifizieren lassen. Die Bücher darüber füllen heute Bibliotheken, nachdem zum Beispiel die Programme und die Propaganda politischer Formationen des späten 19. und gesamten 20. Jahrhunderts ausgewertet waren.
Außerdem liegen vielfältige Publikationen vor, die etwa Gewalt durch Sprache behandelten. Oder sehr direkt das, was Victor Klemperer „Lingua Tertii Imperii“ (LTI) nannte und beschrieb. [Fortsetzung]
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