So will ich das: Lyrikbändchen. Es liegt – dank des festen Einbandes – gut in der Hand. Ich kann es mühelos einstecken.
Markanter Einband, jedoch kein Hochglanz. Klare Typografie. Lesebändchen! Selbst wenn ich es nicht bräuchte, bliebe es ein Teil des Büchleins, um seinen Charakter mitzubestimmen. Aber es geht hier doch eigentlich um Text? Es geht keineswegs bloß um Text! Ich wollte ein paar grundlegende Dinge unterstreichen.
Das Buch schafft eine fixe Position in der Gutenberggalaxis. Ein bedeutender Kontrast zu all den TikTok-Moves und Zeittotschlagangeboten. Das Mediale, worin Text übertragen wurde, das Buch selbst, ist ein relevanter Teil des Ganzen. Ich hab freilich auch von der aktuellen Arbeit des Stephan Eibel zu erzählen.
sternderl schaun
Diese 2024er Neuerscheinung kommt mir nicht einfach als Lektüre daher, sondern als eine kuriose Demonstration dessen, wo Lyrik aktuell stehen kann. So erscheinen mir manche der Gedichte, als hätte jemand mit Worten eine Fotografie angefertigt. (Falls Sie das für ausgeschlossen halten, unterschätzen Sie, was Poesie macht.)
Ich kann mich als Leser nicht mit Sparten und Genres befassen, weil das meine Lektüre stören würde. Es spukt aber so allerhand durch meinen Kopf. Einst war von Konkreter Poesie die Rede, von Cut-up, von experimenteller Lyrik etc.
Ich meine aber, Eibel experimentiert nicht, sondern teilt sich mit. Auf solche Arten drückt sich ein Lyiker heute eben aus, verfügt über ein vielschichtiges Repertoire des Sprachvermögens und der Textanwendung. Das ist längst ein Ergebnis von Experimenten und des Erfahrungssammelns. (Atem wird zu Wort, Wort wird zu Text.)
Eibel scheut dabei auch den Reim nicht, um ihn dann gleich wieder aufzubrechen. Manchmal wäre für mich der Titel allein schon ein taugliches Gedicht wie etwa gedicht mit aussicht, dem dann doch Text über die ganze Seite folgt.
Oder etwas aphoristisch knapp Gehaltenes. Bloß sechs Worte: olle san in ihrn hirn alan. Andere Stellen zeige uns, daß auch das Schweigen zu Text werden kann; über verschiedene Anordnungen von Leerzeilen. Dann entdecke ich plötzlich ein berührendes Liebesgedicht in der Art lyrischer Prosa:
nach dem motto: bleib zukunftsorientiert
bettina wird mich noch in dreitausend jahren lieben und
mich nach taormina mitnehmen, wenn sie abhaut.
Es ist in all dem ähnlich wie in der Malerei oder Grafik. Nur wer Esprit hat und sein Handwerk beherrscht, kann auch radikal reduzieren, um etwas Beeindruckendes zustande zu bringen.
Was Eibel mit „sternderln schaun“ vorlegt, holt man sich an Kompetenzen nicht in Volkshochschulkursen. Es muß ein Leben dafür eingesetzt werden, damit sich genug literarische Praxis ausgeht. Man sollte auch ein wenig herumgekommen sein. Dann kippt irgendwo plötzlich so ein Einzeiler heraus, über den nicht alle lachen werden, ich aber schon. Sehr!
das land ist nur in der stadt schön
Eibel ist freilich auch listig und flicht politische Texte ein. Allerdings nicht in der Art eines Bert Brecht, dessen Literatur oft gerne zitiert wird, um andere Leute zu belehren. Eibel macht das eher im Geist eines Karl Valentin. Das ist freilich nicht harmlos.
+) Lyrik (Ein Schwerpunkt)
Stephan Eibel
sternderln schaun
Gebunden mit Lesebändchen
96 Seiten, Limbus Verlag
ISBN 978-3-99039-248-5