Ich kenne die Künstlerin Herta Tinchon schon etliche Jahre und wir hatten bei Projekten ein paar gemeinsame Momente.
NID-Booklet: Monika Lafer
Herta Tinchon: Digitale Arbeiten
Also schien mir halbwegs vertraut, womit sie sich befaßt und was sie macht. Weit gefehlt! Ich hab das allerweil noch unterschätzt. Tinchon ist nun schon eine Weile mit Monika Lafer im Dialog. Eine mit rund neun Jahrzehnten Lebensgeschichte, die andere noch nicht einmal mit der Hälfte davon.
Das finde ich so spannend, weil sich hier zwei ganz unterschiedliche Frauenleben in der Kunst stellenweise verknüpfen. Tinchon und Lafer sind beide Malerinnen, Lafer überdies auch Kunsthistorikerin. So sind nun erste Essays entstanden, die als NID-Booklets online verfügbar sind. Nun einiges im starken Kontrast zu Tinchons Malerei.
Das bedeutet, ich erlebe einige Überraschungen, weil bei diesem Vorhaben Werke von Tinchon sichtbar werden, von denen ich natürlich nichts wußte. Das hat freilich noch eine andere Ebene. Da ist der Austausch zwischen diesen beiden Frauen, die so unterschiedliche Lebenswelten verkörpern.
Es heißt folglich auch, in der Reflexion und in der Dokumentation sagen Frauen selbst, was es ist. Solche Definitionshoheit ist keineswegs selbstverständlich. Dazu kommt, daß hier von einem Leben in der Provinz die Rede ist, also abseits des Landeszentrums. Da waren die Barrieren noch einiges höher, wenn eine Frau meinte, sie möchte sich ernsthaft und konsequent der Kunst widmen.
Zitat aus dem aktuellen Booklet: Die betagte Künstlerin erzählt: „Als ich meine Ausbildung zur Lehrerin gemacht habe, war die Kunst für mich erstrangig. In Wirklichkeit kam ich mir damals mit meiner Malerei als Pionierin vor – zu dieser Zeit hat noch nicht jeder zweite gemalt!“ Man erinnert sich, dass es aus dem regionalen Umfeld immer wieder hieß: „Du mit deinen Schmierereien!“
Darin klingt etwas Grundsätzliches an. Erstens müssen Wege von konkreten Personen geebnet werden, wo gesellschaftliche Ressentiments und Widerstände vorherrschen. Zweites müssen Mädchen und junge Frauen praktisch sehen können, was machbar ist, um sich selbst solche Wege zuzutrauen und über einen nächsten Horizont hinauszustreben.
Zu all dem kommt das gesamte Werk von Tinchon, in dessen Zeitlinien man das Ringen um inhaltliche und handwerkliche Qualität sehen kann. Das ist ja definitiv eine andere Kategorie als die populären Aktivitäten der Hobby-Liga. Deren sozialer Nutzen ist zwar evident, doch zum geistigen Leben eines Gemeinwesens und zur künstlerischen Entwicklung einer Region kommt aus den Nischen der Voluntary Arts eher wenig.
In all dem liegt daher auch eine kulturpolitische Brisanz. Doch hier mag vor allem Vorrang haben, daß die künstlerische Lebensleistung einer Frau, deren Leben in der Provinz fixiert blieb, bemerkenswert ist und vieles überragt, was man sonst so in der Gegend zu sehen bekommt.