Historiker Siegbert Rosenberger hat die Welt verlassen. Wir standen uns nicht so nahe, daß ich über sein Leben und dessen Ende etwas sagen dürfte. Aber…
…ich möchte notieren, was ein Mann wie er für das geistige Leben einer Stadt bedeutet. Menschliches Wissen ist enorm flüchtig, geht sehr schnell verloren. Außerdem ist Oral History, also persönlich Erinnertes und Erzähltes, stark von den jeweiligen Befindlichkeiten geprägt.
Es entwertet persönliche Mitteilungen nicht, verlangt aber nach der Deutung von Quellen und nach dem Erläutern von Zusammenhängen. Rosenberger war nun in zwei Richtungen ein wichtiger Akteur des kulturellen Lebens in Gleisdorf. Einerseits Recherche und Wissenserwerb, andrerseits Autorenschaft und Vermittlungsarbeit.
Daß er sein Wissen regelmäßig publiziert hatte, machte ihn selbst zur wesentlichen Quelle für jemanden wie mich. In der laufenden Kulturarbeit sollte man sein Terrain kennen und wenigstens in groben Zügen wissen, welche Entwicklungen uns dahin gebracht haben, wo wir grade stehen. Vor allem auch, weil ich Mentalitätsgeschichte für eine sehr zähe Angelegenheit halte.
Damit meine ich, unser Verhalten kommt teilweise aus Lebensumständen vergangener Zeiten und schafft so interessante Diskrepanzen in unsere jetzigen Zuständen und den Reaktionen auf zeitgemäße Ereignisse. Der Historiker hilft uns, das zu dechiffrieren und zu verstehen, was vor allem in Krisenmomenten sehr hilfreich ist.
Rosenberger war also mit Bildungs- und Deutungsaufgaben befaßt. Er war, um es etwas plüschig auszudrücken, ein Bibliothekar des lebendigen Gedächtnisses dieser Stadt, zugleich ein Kenner schon verwahrter Quellen, also ein Mittler zwischen den Archiven der Kultur und dem Alltagsleben.
Damit möchte ich auch betonen, für wie wichtig ich Archive, alle Arten von Wissenssammlungen, halte. Die sind aber wertlos, wenn sie nicht von sachkundigen Menschen betreut und genutzt werden. Ich wünschte, das „offizielle Gleisdorf“ würde dem nun geäußerten öffentlichen Lob für Rosenberger passende Taten folgen lassen. Man muß Kulturschaffenden mit solchen Talenten ja Rückhalt bieten, seitens der Kommune das begleiten und verstärken, was engagierte Leute können.
Siegbert Rosenberger war übrigens einige Jahrzehnte beim Roten Kreuz engagiert, unter anderem auch als Ortsstellenleiter. Ein Mann mit Prinzipien, der offenbar unter „Politik“ nicht nur die „Staatskunst“ verstand, also das politische Amt, sondern auch eine aktive Rolle im Gemeinwesen (Polis). Ich möchte überdies daran erinnern, daß Rosenberger im Jahr 2021 ein bemerkenswertes Zeichen gesetzt hat, nach dem es hieß: „Ex-Vize-Stadtchef tritt aus ÖVP aus“.
Er mißbilligte die Regierung Kurz mit deren Maßnahmen, privates Engagement für Flüchtlinge zu blockieren. Rosenberger: „Der Kanzler nimmt die ganze Partei in Festungshaft“. Also hieß es etwa im Standard: „Der langjährige Vizebürgermeister der oststeirischen Stadt Gleisdorf hat nach der Abschiebung von Tina seine Parteimitgliedschaft zurückgelegt“. [Quelle]
Ich behaupte, der Mann habe uns durch sein Tun eine zeitgemäße Deutung des Begriffs „Bürgerliche Tugenden“ angeboten. Das sollte für eine Debatte über solche Tugenden gut ein, statt mit Floskeln verabschiedet zu werden.
Vertiefend
+) Rosenbergers Journale (Zu Gleisdorfs Geschichte)
+) Splitter und Scherben (Wozu die Befassung mit Resten unserer Geschichte?)
+) Rosa, Rosae, Rosae… (Wozu über die Antike nachdenken?)
Siegbert Rosenberger stand uns beim Gleisdorf-Teil des Buches „Wegmarken“ als Konsulent zur Seite; siehe: [Link]