Routen 281, Florianiplatz: Verkehr II

Ich hab im ersten Teil den Beginn der Revolution persönlicher Mobilität skizziert. Ende des 19. Jahrhunderts hatte ein Technologiesprung den Lauf der Dinge verändert.

Auf glatter Fahrbahn weniger riskant: Hochräder (Penny-farthings) am Gleisdorfer Rathaus.

Die teuren Hochräder, mit denen man auf schlechten Wegen stets sturzgefährdet blieb, wurden vom Typ „Sicherheitsrad“, dem „Niederrad“, abgelöst. Bei denen setzten sich vor allem jene mit Diamantrahmen (als verwindungssteife und robuste Versionen) durch.

Niederrad mit Diamantrahmen: Eines der heute sehr seltenen „Albl Graziosa chainless von 1899“: Kardanwelle statt Kette.

Historiker Robert F. Hausmann notierte: „Dem allgemeinen Freizeittrend folgend, wurde am 23. Juli 1884 mit acht ordentlichen und zwei unterstützenden Mitgliedern im Gasthaus ‚Zum Goldenen Adler‘ (heute AMS Gleisdorf, Bahnhofstraße) der Radfahrverein ‚Gleisdorfer Bicycle-Club‘ als vierter steirischer Club gegründet und fand vor allem unter der bürgerlichen Jugend begeisterte Resonanz.“

Wägelchen und Automobile
Bevor Altmeister Johann Puch als Fabrikant reüssierte, war Benedict Albl schon ein erfahrener Grazer Produzent von Fahrrädern, der allerdings mit dem Umstieg auf die Automobilproduktion scheiterte. Aber aus jener Zeit ist das inzwischen älteste steirische Automobile mit Straßenzulassung erhalten. (Es hat übrigens einen oststeirischen Besitzer.) Der „Albl Phönix“ ist eine sogenannte Voiturette (franz: Wägelchen) aus dem Jahr 1902.

Der Albl Phönix, eine Voiturette von 1902 mit französischem De Dion-Bouton Schnüffelmotor.

Während der ersten Jahre des 20. Jahrhunderts war der Kraftfahrzeugverkehr in der Provinz noch keine wesentliche Quelle von Problemen. Aber es gab immer wieder Vorfälle mit scheuenden Pferden und verunglückten Fuhrwerken. In den Zentren Österreichs spielte sich all das bald so massiv ab, daß die Behörde ab 1905 Nummerntafeln ausgab, die verpflichtend waren.

So konnte man „Autler“ und Leute auf Motorrädern dingfest machen, wenn etwas vorgefallen war. Die Hauptgründe für Kontroversen und Beschwerden waren Lärm-, Staub- und Geruchsbelästigung. (Es kam manchmal sogar zu Fällen von Lynchjustiz.)

Im Jahr 2019 war ich drei Tage lang Copilot in einem Steyr XII von 1927. Das erste Großserienautomobil aus österreichischer Produktion, überdies rechtsgesteuert, denn viele Jahre wurde in Österreich links gefahren.

Österreichs erstes Großserien-Auto, der 1927er Steyr XII, neben dem ersten Großserien-Auto der Geschichte, einer „Tin Lizzy“ (Ford Model T) von 1913. (Zum Vergrößern anklicken!)

Helmut Oberzill, der Besitzer des oben gezeigten Steyr XII, präzisiert: „Am 1. Juli 1938, nach dem ‚Anschluss‘, trat die deutsche Straßenverkehrsordnung in ganz Österreich in Kraft, das heißt, es musste einheitlich rechts gefahren werden. In den westlichen Bundesländern fuhr man schon ab den frühen 1930er Jahren, in Vorarlberg sogar schon ab 1921 rechts. Für Niederösterreich und Wien, das nördliche Burgenland und Teile der nördlichen Steiermark gab es eine Ausnahmeregelung und Wien wechselte als letztes Bundesland erst am 19. September 1938 auf Rechtsverkehr… (Siehe Hubert Schier, die Steyrer Automobil-Geschichte).“

Sie finden in Hausmanns Gleisdorf-Chronik etliche Fotos, auf denen man den Florianiplatz als hinreichend geräumigen Platz sehen kann, gelegentlich ein einzelnes Automobil auf dem Set. Das änderte ich schrittweise. Essenziell wurde ab dem Ende der 1950er Jahre daraus eine ganz andere Situation.

Die Ikone
Der Fiat 600, den es auch als österreichischen Steyr-Fiat gab, steht exemplarisch für den neuen Typus des leistbaren Automobils. Ferdinand Micha Lanner hat diesen Teil einer nächsten Ära anschaulich zusammengefaßt. Ich kenne keine vergleichbare Produktpalette, in der – wie bei den Fiats – auf recht kurzem Radstand eine derart taugliche Vielfalt für unterschiedliche Zwecke angeboten wurde: der 600er in Lanners Archiv.

Fiat 600: Der eigentliche „Volkswagen“ Europas wurde in Lizenz auch in Österreich gebaut. (Quelle: Archiv Lanner)

Die nächste Großleistung von Fiats Dante Giacosa und Giuseppe Alberti, der Fiat Nuova 500, lieferte dann übrigens die Karosserie für das Grazer „Puch-Schammerl“, den Steyr-Puch 500. Spätestens ab den 1970er Jahren gab es quer durch Österreich einen üppigen Gebrauchtfahrzeug-Markt.

Man konnte selbst mit schmalem Einkommen auf diversen Kiesplätzen schon für ein paar tausend Schilling fündig werden. Zu der Zeit war der „Haushaltsklassiker“ bei den Anschaffungen von den meisten Familien schon abgearbeitet: Erst ein Kühlschrank, dann eine Waschmaschine, schließlich ein TV-Gerät.

Plötzlich was es nicht mehr ungewöhnlich, daß zu einem Haushalt mit zwei Elternteilen und zwei volljährigen Kindern vier Kraftfahrzeuge gehörten. Sie können sich am Status des Florianiplatzes zum November 2023 ansehen, was das bezüglich der Verkehrsflächen in einem Kleinstadtzentrum nach sich zog. (Siehe zum Vergleich das Gemälde im NID-Booklet!)

Übersicht
+) Vorlauf: Teil I
+) Florianiplatz
+) Routen 

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
Dieser Beitrag wurde unter Florianiplatz, Mobilitätsgeschichte, Technologiegeschichte abgelegt und mit , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.