Ich staune immer wieder, was durch Lyrik sprachlich möglich ist. Diese knappe Form, bei der es auf jede Silbe ankommt…
Rhythmus, Sprachbilder, Assoziationen, Gedankensprünge, aber daß man auch jede Regel brechen kann, falls man weiß, was man tut. Nein, ich sollte es von der anderen Seite her angehen.
Als Künstler bestimme ich selbst, nach welchen Regeln ich meine Arbeit voranbringe. Ich sollte in der Lage sein, selbstgewählte Regeln zu befolgen. Es wäre eine weitere Kompetenz, bei Bedarf diese Regeln (aus guten Gründen) zu brechen, um einen bemerkenswerten Text zustande zu bringen.
Das scheint mir bei der Lyrik besonders brisant, weil die meisten Gedichte aufgrund ihres Textvolumens sehr unmittelbar lesbar, faßbar sind. Aber dann, dann sollte in einem Raum aufgehen und Zeit verfügbar sein, um den Texten Möglichkeiten für vielleicht unvorhersehbare Wirkungen zu lassen.
Weshalb ich das erzähle? Hier liegt gerade die aktuelle Ausgabe der Literaturzeitschrift „Podium“ auf meinem Tisch. Eine Doppelnummer mit dem Titel „Neue Lyrik aus Österreich“. Darin findet man „Beiträge von 61 Autor*innen“.
Ich deponiere es gleich vorweg: Auf die Gedichte werde ich nun nicht eingehen. Ganz einfach deshalb, weil ich selbst Lyriker bin, was eine spezielle Befangenheit ergibt. Aber das spielt keine Rolle, weil diese Anthologie sich ganz unabhängig davon anbietet, eine Entdeckungsreise zu machen; so erheblich ist die Vielfalt der Texte.
Es sind aus meiner Sicht also nicht bestimmte Gedichte, die ich Ihnen nahebringen könnte, es ist die gesamte Anthologie, an der ich Gefallen finde und sie Ihnen deshalb empfehle. Diese Vielfalt der Erzählweisen. Manch raffinierte Variante. Irritationen.
Es kommt naturgemäß auch vor, daß ich einen Text als handwerklich gelungen ansehe, aber mir sagt die Art von Lyrik nicht zu. Also leiste ich mir heute die Annehmlichkeit, sowas für meine unerhebliche Privatmeinung zu halten, während ich mich nicht in der Rolle eines Rezensenten bewähren muß.
Ich finde diese Ausgabe unter anderem deshalb attraktiv, weil sie was sehr Gegenwärtiges ausdrückt. Etliche der Leute kenne ich aus persönlichen Begegnungen und der Lektüre ihrer Texte. Andere sind mir völlig fremd.
Meine Generation ist mit erfahrenen Kräften vertreten, was 1950er und 1960er Jahrgänge meint. Zum Beispiel Stephan Eibel, Petra Ganglbauer, Gerhard Jaschke, Ilse Kilic, Hannes Vyoral; ältere nur vereinzelt.
Diverse 1970er wie etwa Thomas Ballhausen oder Stefan Schmitzer rechne ich schon der nächsten Generation zu, junge Leute ab den 1980ern sowieso. Auch das macht so eine Anthologie für mich interessant. Wie reagieren andere, vor allem jüngere Menschen mit künstlerischen Mitteln auf den Zustand der Welt? Wo haben sie ihren Fokus? Wie erzählen sie, was sie bewegt?
Ich mag an solchen Stoffen auch sehr, daß sie zeigen, wozu Sprache als Text in der Lage ist, denn das sind Belege für raffinierte Denkvorgänge. Ich kenne – wie angedeutet – was in einem vorgeht, wenn man sein Thema hat, seine Aufgabenstellung, um das dann in Form eines Gedichtes manifest zu machen.
Das hat auch umgekehrte Effekte. Indem Sie sich auf derlei Texte einlassen, die außerhalb von Alltagserfahrungen stattfinden, erlauben Sie einigen ihrer inneren Instanzen, aus der Spur zu rücken. Ich vermute, das ist ein essenzieller Punkt, falls man sich fragt, wozu man sich auf Kunstwerke einlassen soll. [Podium]