(Ein Erklärungsmodell zur künstlerische Grundlagenarbeit)
Von Monika Lafer
Ein Interview mit Manfred Bockelmann in der Kleinen Zeitung (30.8.2023) [Quelle] hat mich zur Reflexion mit meinen eigenen Arbeiten angeregt bzw. kam darin ein Satz vor, der für mich nicht passte: Die Melodie (als Analogie zur Gegenständlichkeit in der Kunst) ist für den Künstler etwas, das immer vorhanden sei. Dem konnte ich nicht zustimmen. Ich habe mich gefragt: „Wenn es nicht die Melodie ist, was ist es dann, das in allen Sparten der Kunst eine wichtige Basis ist?“ Meine Antwort lautete „Rhythmus“.
Es bedeutet, dass Rhythmus eine Fixgröße in jeder künstlerischen Arbeit ist: In der Musik ist es sehr eindeutig, dass hier ohne Rhythmus nichts läuft, aber auch in der Literatur, darstellenden Kunst und bildenden Kunst ist er eine unverzichtbare Grundlage. Es spielt dabei keine Rolle, ob etwas gegenständlich, ungegenständlich oder experimentell dargebracht wird – diese Basis ist immer essenziell.
Ein weiterer Faktor, der überhaupt dazu führt, dass Kunstschaffende ihre Arbeiten immer weiter vorantreiben, ist Obsession. Niemand wurde berufen, Kunst zu irgendeinem höheren Zweck zu machen – auch wenn man es immer wieder auf Ausstellungseröffnungen vernimmt. Es ist vielmehr ein innerer Zwang, man muss malen, zeichnen, schreiben, tanzen.
Dieser unbändige Drang ist völlig unabhängig davon, ob sich ein Publikum einfindet oder nicht. An dieser Stelle wollen wir allerdings nicht das Phänomen der unverstandenen, nicht „entdeckten“ Künstlerpersönlichkeit strapazieren. Denn Kunstmarkt und künstlerische Arbeit sind strikt voneinander zu trennen und dieses Thema ist nicht Gegenstand dieses Textes.
Analog zum eigenen Hausbau – ein Haus im Hang – habe ich ein Erklärungsmodell entwickelt, wo diese Faktoren ihren Platz bekommen haben. Es hat nicht den Anspruch der Vollständigkeit, es soll vielmehr eine erste plakative Auseinandersetzung mit der künstlerischen Grundlagenarbeit sein.
Rhythmus und Obsession sind demnach im Kellergeschoss untergebracht und fungieren idealerweise in einem Dichtbetonkeller als stabile Basis für die folgenden Geschoße.
Im Erdgeschoss befinden sich sämtliche Fertigkeiten (Skills), die sich Kunstschaffende im Laufe der Zeit aneignen, um ihre eigene Sprache zu entwickeln. Wir reden hier nicht vom vielgepriesenen (und meines Erachtens überschätzten) Alleinstellungsmerkmal, das gehört ins Reich des Marketings. Wenn sich etwas Entsprechendes entwickelt, ist es gut für den Bereich der Selbstvermarktung – über die künstlerische Qualität sagt es nichts aus.
Im Erdgeschoss befinden sich beispielsweise Wissen über Materialkunde und dessen Anwendung, Handwerkstechniken, Erfahrungen zur Pflege des künstlerischen Werkzeugs, haufenweise gelesene Bücher und fachliche Informationen, stapelweise Blätter von Aktmalerei, Übungsskizzen, die der eigenen Technik dienlich sind und noch vieles mehr. Es geht hier, die Basis (nämlich Rhythmus und Obsession) mit den Fertigkeiten in der Art zu verknüpfen, dass künstlerisch relevante Arbeiten zu erwarten sind.
Diese befinden sich im Dachgeschoss des Hausmodells – und hier kommt die Perspektive des Publikums ins Spiel: Es sieht nämlich nur das Dachgeschoss und anhand dessen muss klar sein, dass der Unterbau solide ist, auch wenn man ihn nicht sieht. Wenn es jemanden interessiert, wird er ums Haus gehen und sich eingehender damit befassen – es ist allerdings nicht zwingend notwendig.
Um vom Erdgeschoss aus das Dachgeschoss künstlerisch zu erreichen, gibt es einige Parameter, die im Erdgeschoss bearbeitet wurden und zu verwerfen sind: Allen voran die Selbstreferenzialität. Was bedeutet das? Nun, selbstreferenzielle Werke drehen sich um das Befinden des Kunstschaffenden selbst – möglicherweise findet sich eine Community, die diesen Gefühlsausdrücken zustimmt, aber deshalb ist es noch lange nicht künstlerisch relevant.
Diese Arbeiten haben in erster Linie eine wichtige soziale Funktion, weil sie Menschen gut abholen können – damit sind wir nicht mehr im Bereich der künstlerischen Grundlagenarbeit, sondern im Bereich der Voluntary Arts (Hobbykunst) oder auch im weiten Feld der Kunsttherapie. Diese Themen sind zu Unrecht noch wenig beforscht und verdienen große Anerkennung. Keinesfalls steht die zeitgenössische Kunst über der Hobbykunst, die verschiedenen Sparten stehen nebeneinander.
Also – selbstreferenzielle Werke erinnern stark an „Was ich in den letzten Ferien erlebt hab“ und haben keinen anderen Inhalt außer dem eigenen Empfinden. In der künstlerischen Grundlagenarbeit gibt es die Authentizität in den Arbeiten. Das bedeutet soviel wie „ich sehe mich als Künstlerin in diesem Werk“ – und setzt voraus, dass es etwas geben muss, was außer meiner Handschrift wahrzunehmen ist und auch Qualität hat. Selbst das bewusste Weglassen der künstlerischen Individualität ist hier einzuordnen, nur eben mit umgekehrten Vorzeichen.
An der Decke des Erdgeschosses befindet sich also ein Filter, der alles Selbstreferenzielle oder auch kurzlebige Selbstinszenierungen ohne Inhalt kassiert.
Im Dachgeschoss sieht man das Ergebnis von Rhythmus, Obsession, Skills in ihrer unablässigen Weiterentwicklung. Man spricht in der Kunstgeschichte vom „Durchbruch“, „etwas geht durch die Decke“ – auch hier ist der persönliche Durchbruch gemeint, nicht jener, den der Markt festlegt.
Ein Beispiel hierfür ist Franz Gertsch, der seine Bilder nach einigen Gehversuchen in der Pop-Art völlig neu anlegte und sie nach seinem persönlichen Durchbruch neu nummerierte. Oder man denke an Renate Bertlmann, die man zu ihrem „späten Durchbruch“ befragt hatte. „Ich war immer da“, meinte sie trocken. [Quelle]
+) Archipel (Ein Logbuch)
+) Zeit.Raum: Vol. 33: Sicherungskopie 2.0