Im Projekt „Archipel“ hab ich bezüglich künstlerischer Strategien vor Ort vor allem mit Malerin Monika Lafer und Fotograf Richard Mayr zu tun.
Um das konzeptionell auch mit anderen Genres verbindbar zu machen, gehe ich derzeit von einigen Grundsatzfragen und grundlegenden Begriffen aus. Ich habe hier schon notiert, daß Poiesis und Praxis zwei verschiedene Felder sind, die sich unterschiedlich markieren und bespielen lassen.
Wir müssen mit diesen Begriffen aber nicht bei Aristoteles bleiben, denn er hat als gutgestellte Persönlichkeit in einer Sklavengesellschaft über die Welt nachgedacht, also eine bevorzugte Nischenexistenz gehabt. Unter „Gesellschaft“ und „Wir“ wird längst etwas ganz anderes verstanden. (Es muß uns frei stehen, diese Belange stets neu zu verhandeln und begrifflich zu klären.)
Aber ich mag kurz noch von Platon und Aristoteles ausgehen, mag poietisches und praktisches Wissen als Kategorien unterscheiden. Ich sehe das heute analog zu dem, wie wir in der Wissenschaft Grundlagenarbeit und angewandte Formen unterscheiden.
Ähnlich halte ich Gegenwartskunst und Kunsthandwerk auf solche Art für unterscheidbar, aber auch Kunst und „Hobbykunst“ (Voluntary Arts). In der Kunst regiert das poietische Wissen, bei den Hobby-Leuten das praktische Wissen. (Es sind eben verschiedene Genres.)
Meine Vorstellung von einem „Raum der Poesie“ bezieht sich vor allem auf Grundlagenarbeit, also auf poietische Arbeit. Doch das ist nicht als eine Art der isolierten „Raumstation“ in irgendeinem Orbit gedacht. Im Gegenteil. Ich will dabei mitten in der Stadt Schnittstellen eingerichtet sehen, die Verbindungen zu anderen Genres nicht nur möglich machen, sondern nahelegen.
Schnittstellen
Wo treffen wir uns nun bestenfalls? Nikolaus Dimmel und Joachim Eckl haben in ihrem Traktat „Proberaum“ (Experimentalräume sinnstiftender Tätigkeit) an einer Stelle notiert: „Krisen verweisen Gesellschaften auf ihre Grundlagen zurück.“
Das mag man in schlampiger Sichtweise als banal beiseite schieben. Es ist aber ein wichtiger Satz, mit dem sich daran erinnern ließe, daß die Krise nicht das Problem ist, sondern die Weggabelung. Sie schafft den Anlaß, um sich zu konzentrieren, denn an dieser Weggabelung ist zu klären, ob es Richtung Katastrophe oder Katharsis gehen kann. (Ich sehe sowas in der Benennung gerne etwas plüschig: Du kannst eine Lawine hoffentlich surfen. Oder sie wird dich wegreißen und begraben.)
Dimmel und Eckl verweisen in ihren Überlegungen unter anderem auf Oskar Negt und Alexander Kluge, auf deren plausible Überzeugung, „dass den Arbeitsvermögen ein Eigensinn innewohnt, der sowohl Ausgangspunkt der Vergesellschaftung durch Arbeit, zugleich aber auch Ausgangspunkt für ein selbst-bestimmtes, eigen-sinniges Leben jenseits der Lohnarbeit ist.“ (So deuten die beiden Männer „Geschichte und Eigensinn“ von 1981.)
Ich nehme an, das korrespondiert auch mit den Intentionen von Franz Wolfmayr, der in unserer Reisegesellschaft zum „Archipel“ beides verkörpert: poietisches und praktisches Wissen. Wer in der Kunst lebt, kennt diese oft unbändige Obsession, dem eigenen Wissensdrang zu folgen, diesem speziellen Erfahrungshunger, der sich in künstlerischer Arbeit gut einlösen läßt. (Das würde ohne ausreichende Selbstbestimmung umgehend verlöschen.) Aber das ist nicht bloß unsere Domäne als Kunstschaffende. Selbstbestimmung und Wissensdurst sind grundlegende Elemente der Conditio humana .
Das Leben in der Kunst ist bloß eine Variante, um dem nachzugehen. Im günstigsten Fall wird man solche Grundlagen in so gut wie jedem Lebenskonzept finden können. Dimmel und Eckl haben es schon im Titel ihres Traktates erwähnt: sinnstiftende Tätigkeit. In welcher Form die stattfinden mag, ist individuell verschieden und vielfältig. Die beiden Männer haben mir ein Stück Arbeit erspart, nämlich zu klären, wovon da die Rede ist. Zitat:
„Anthropologisch bezeichnet der Raum das individuelle Raumerleben. Architektonisch markiert der Raum ein sozialen Funktionen dienendes Begegnungsareal. Kommunikativ ist Raum ein Ort des intellektuellen und/oder sinnlichen Diskurses, des Autausches von Zeichen, Bilderfahrungen oder der Erzeugung und Wahrnehmung akustischen Muster. Überhaupt aber weist die Philosophie den Weg: Raum wird hier als das „nicht Angefüllte“, als leerer Raum, als Bedingung eines dialektischen Nebeneinander von Personen, Beziehungen, Dingen oder Prozessen verstanden.“