Was hat die 2023er Gleisdorfer Großbaustelle mit meiner Auffassung von einem „Raum der Poesie“ zu tun?
Es geht dabei nicht um einen Ort für Gereimtes und Plüsch, sondern – im klassischen Sinn – um eine Zone, in der etwas, das es vorher nicht gab, in Existenz gebracht wird. Aber der Reihe nach… Das erste Foto dieses Blattes habe ich von einem Steg aus gemacht, der über den Gleisbach führt; mit Blick auf die drei Brücken.
Bei den umfassenden Bauarbeiten im Bereich der Schillerstraße fiel mir erst einmal auf, daß die Brücke beim Postamt erneuert wird. Das ist – vom Stadtzentrum her gesehen – die Brücke Nummer drei. Hier dazu eine Notiz mit Video-Miniatur: [Link]
Allerdings hatte mir ein Bauarbeiter schon früher gesagt, daß es an Brücke Nummer zwei Instandsetzungsarbeiten gebe werde. Aber das war mir entfallen. Inzwischen läuft der Autoverkehr über Nummer drei und die Nummer zwei wurde erneuert.
Auf die blicke ich hier von der Nummer eins aus. Über die Eins sind zwei Parkplätze des Supermarktes verbunden, während der Steg nördlich von Nummer eins für das Fußvolk über den Bach führt. Dieses Ensemble fasziniert mich aus zwei Gründen.
Einerseits kenne ich keine vergleichbare Passage an einem der Bäche im Raum Gleisdorf. Diese Stelle macht anschaulich, wie Menschen den Ort zur Stadt entfaltet, also über bestehende Landschaftsstrukturen gelegt haben.
Andrerseits sind es die Objekte selbst in diesem temporären Zustand, wie man sie dann nie mehr zu sehen bekommt. Derlei betonierte kubischen Strukturen, auf die schließlich Asphalt gelegt wird. Brücke Nummer drei hat mir innerhalb weniger Tage veranschaulicht, daß dort alles sehr schnell wieder so aussieht, als wäre nichts gewesen.
Aber die Kunst!
Der ganze Prozeß hat etwas von einem profanen Parallelereignis zu manchen künstlerischen Vorhaben. Hier die praktische Nutzung, da die Grundlagenarbeit bezüglich a) Wahrnehmungserfahrungen und b) Erkenntnisgewinn.
Damit meine ich nebenbei, daß mich solche profanen Vorgänge (die Bauarbeiten) faszinieren, wenn sie mir als Rezipient, als Teil eines Publikums, Eindrücke und Denkanstöße bieten, die zugleich ins Reich der ästhetischen Erfahrungen und der praktischen Alltagsbewältigung weisen.
Damit meine ich auch, daß ich diese Entwicklung der städtischen Hardware gespannt verfolge, während wir in der Stadt einen komplexen künstlerischen Prozeß in Gang gesetzt haben. Das manifestiert sich neuerdings auf eine Art, die nach außen dargestellt werden kann; und zwar über die Arbeitsschiene „Archipel“.
Dafür hat Winfried Lechner eine recht heterogene Runde herbeigeführt, Menschen gewonnen, die mit höchst unterschiedlichen Kompetenzen mitziehen. Dazu paßt mir die Metapher sehr: Ein Archipel steht im Kontrast zu einem Kontinent. Dabei verbinden sich die Funktionen von Wasser und Land in einer komplexen Wechselbeziehung.
Bestandslückendynamik
Das Wasser ist nicht bloß Fläche zur Raumüberwindung. Das Land – die Inseln – sind nicht bloß Komponenten eines losen Gefüges, das gefestigt werden müßte. Ein Archipel ist geradezu die originelle Heimat dessen, was die Künstler Joachim Eckl und Marcus Kaiser in unserem Vorhaben Bestandslückendynamik nennen; und zwar weit kontrastreicher, als das eventuell der Dschungel als Metapher hergeben würde.
Damit will ich sagen, es sind derzeit zwei intensive Vorgänge in der Stadt Gleisdorf vorzufinden. Der eine (diese Bauarbeiten) ist von radikal physischer Natur. Der andere (dieses kulturelle Vorhaben „Archipel“) ist im Augenblick ein vor allem immaterieller, weil geistiger Prozeß, der sich aber später sicher auch in physischen Objekten manifestieren wird.
Das bedeutet ferner, hier entfaltet sich ein kulturelles Vorhaben, das sehr konkret mit dem realen Ort seiner stärksten Gravitation (Gleisdorf) verknüpft wird, geistig und physisch. Wir beziehen dabei Anregungen von außen, arbeiten mit Menschen zusammen, die woanders leben, aber wir implementieren nun etwas Wachsendes nicht nur in das geistige Leben der Stadt, es verbindet sich über meine Zugänge auch physisch mit Gleisdorf.
Zur Orientierung
Was in dieser Notiz gebündelt ist, hat mit mehreren Teilprojekten zu tun, die ausdrücken, was ich unter „Art Under Net Conditions“ verstehe. Daß ich den Begriff Tesserakt als Projekttitel benutze, geht auf mein Arbeitsjahr 2019 zurück: „Tesserakt“ (Ein Projekt des Konsortium 18). Das aktuelle Konvolut setzt sich unter anderem aus folgenden Teilbereichen zusammen:
+) Archipel
+) Brücken und Stege
+) Schächte und Kanäle
+) Matrix der Gewässer
+) Raum der Poesie
+) Tesserakt