Es bedarf großer Konzentration und auch einiger Disziplin, um einstmals gelebtes Leben in einem Fachbuch zu verdichten.
Ein Buch, das auch allfälligen Prüfungen standhalten muß. Schriftliche Quellen und mündliche Überlieferung können auf vielfache Art gedeutet werden. Eine Dokumentation soll wiedergeben, was der Fall gewesen ist.
Diese Anstrengung ist Claudia Zerkowitz-Beiser offenbar gelungen. Also hat der Grazer Fachbuchverlag Clio diese Arbeit nun publiziert: „Meine jüdische Familie. Ihr Leben in Graz und ihre Auslöschung.“
Als Regisseur Fritz Aigner zufällig auf diese Geschichte stieß, fiel bald die Entscheidung, dazu auch einen Dokumentarfilm zu machen. Ich schreibe bewußt „dazu“ und nicht „daraus“, denn das sind grundverschiedene Erzählformen, zu denen sich Menschen mit ganz unterschiedlichen Zugängen entschlossen hatten.
Daher halte ich Buch und Film für Werke, die einander komplementär ergänzen. Wer das für Erbsenzählerei hält, unterschätzt die enorme Komplexität des Themas. Ich denke, eine wachsende Community sehr verschiedener Menschen, die sich so einem historischen Thema widmen, entfaltet ihren Nutzen in zwei wesentliche Richtungen.
Einerseits kann die Qualität und Tiefe des gesamten Vorhabens gewinnen, wenn es die Anstrengung einer Art „Gesamtregie“ gelingt. Andrerseits entstehen so Schnittstellen, an denen andere Menschen später inhaltlich andocken können, um den Gesamtzusammenhang weiter auszuleuchten.
Zwei Generationen reichen ohnehin nicht, die Ungeheuerlichkeit der Anmaßung all dieser Nazi und ihrer Gefolgschaften zu bewältigen. Unsere Gesellschaft wurde vor wenigen Jahrzehnten durch dieses Regime und dessen Personal so tief korrumpiert, daß wir Nachgeborenen noch viel Arbeit haben werden, jeden Bereich unseres Gemeinwesens bezüglich restlicher Kontaminierungen durch solche Art der Menschenverachtung zu untersuchen.
So weit ich sehe, haben dabei Belehrungen keinen Nutzen. Ein wesentlicher Weg, dem Faschismus jegliche Zukunft abzuschneiden, liegt im Engagement für ein öffentliches geistiges Leben, das nicht durch die Erzählungen einer „Kulturrevolution von rechts“ überrannt werden kann.
Ich neige zur Annahme, daß ich nicht die Vergangenheit meiner Leute zu bewältigen habe, sondern meine Gegenwart. Darin sind Kunstschaffende aller Sparten wichtige Verbündete, weil wir einige jener Narrative schaffen, die dem Chor der Menschenverachtung entgegenstehen.
Jüngst ging es in das Gleisdorfer Studio 66 von Peter Fritz, da Komponistin Tais Bauer der Cellistin Sigrid Narowetz beim Einspielen einiger Teile der Filmmusik für Aigners Dokumentation gegenüber saß: durch dickes Glas getrennt.
Nach einer Weile kamen noch Produzentin Ulli Berger und Konsulent Roland Berger dazu. Das war dann schon ein exemplarisches Setting für diesen Aspekt: sehr verschiedene Charaktere, die unterschiedliche Generationen verkörpern, widmen sich mit ihren jeweils eigenen Sachkompetenzen der Komplexität des Themas. Das sind Prozesse, in denen unterwegs Werke entstehen, ohne das Prozeßhafte dadurch überflüssig zu machen.
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