Episode XXX: Volkskulturelle Aspekte

Es ist ein relativ junges Genre, diverse Kraftfahrzeuge mit kontrastreichen Code-Systemen zu verknüpfen, um damit in Gemeinschaften Terrains abzustecken.

Buick Session: Customizing heißt individualisieren, nicht unbedingt motorisch hochrüsten.

Das kommt vor allem daher, weil Kraftfahrzeuge in Europa erst nach dem Zweiten Weltkrieg preiswerter und breiter erschwinglich wurden. (In den USA etwas früher.) Durch die Massenproduktion sanken die Preise und so manche Subkulturen hatten plötzlich aufregende Medien zur Hand, Autos und Motorräder, die modifiziert werden können.

Cliquen und Szenen
Man muß schon etwas in die Jahre gekommen sein, um noch zu wissen, was ein Schlurf war, zu dem auch eine Schlurfrakete gehörte. Oder um von Halbstarken eine Ahnung zu haben. Mods fuhren Scooter, was für einen Rocker undenkbar schien, die bevorzugen Motorräder.

Wer sich als Sammler oder Schrauber ein Vorkiegsauto leistet, wird sich meist nicht mit den „Youngtimers“ mischen. Die „Tuner-Szene“ fährt Technik auf der Höhe der Zeit und bleibt eher für sich, auch wenn ein frisierter Yank Tank aus den 1950ern oder ein späteres Muscle Car nicht grad langsamer ist. Hier werden illegale Straßenrennen bevorzugt, da die Oldtimer-Rallye mit hohem Organisationsniveau. (Und allerhand zwischen diesen Kategorien.)

Popkultur: Tuner paraphrasieren vorzugsweise die Gegenwart.

Das sind einige Elemente einer Volkskultur in der technischen Welt, die auf kuriose Art von eifrigen Priestern und Ministranten der „traditionellen“ Volkskultur eher nicht wahrgenommen wird. Wovon ist im Kern die Rede? Einfallsreichtum, Geschick, Vergnügen, Traditionen und Codes. Dann aber auch: was Menschen sich in der Freizeit gönnen, ohne sich dabei um Zurufe von Autoritäten zu scheren.

Grundlegendes
Wenn man darüber nachdenkt, was Volkskultur sei, ist man mit folgender Annahme ganz gut bedient, um einen grundsätzliche Ausgangspunkt zu markieren: Wir Menschen haben offenbar diese zwei sehr starken Bedürfnisse: das nach Zugehörigkeit und das nach Selbstbestimmung (Autonomie).

Nein, das ist kein Widerspruch. Genau diese beiden Bedürfnisse zu kombinieren schafft ja wichtige Grundlagen für das, was wir mindestens rückblickend als Volkskultur identifizieren. Dazu kommt meine Überzeugung, daß ausnahmslos jeder Mensch spirituelle und kulturelle Bedürfnisse hat, die dann je nach persönlichen Lebensumständen und Wahrnehmungserfahrungen gelebt, umgesetzt werden.

Traditionelles
Sie haben von all dem sicher persönliche Eindrücke. Es gibt Tänze, mit denen junge Menschen bei Festen zeigen, wie vital und kraftvoll sie sind, auch wie gewandt und musikalisch. Es gibt Gesänge, mit denen man ebenfalls Qualitäten solcher Art demonstriert.

Ford Hot Rod: Der frisierte Motor ist das Hauptthema, der Paint Job ein Plus.

Blumenschmuck- oder Tortenback-Wettbewerbe kombinieren Sachkompetenz, Gestaltungskraft und Wettbewerb. Wer hat den größten Kürbis gezüchtet, wer die schwersten Paradeiser? Wer hat den fettesten Fisch gefangen, wer den schönsten Hirsch geschossen? (Wer hat das Edelweiß aus der gefährlichen Wand geholt?)

Allerhand Trendsetting und Modetrends handeln von Codes, mit denen Menschen einander etwas mitteilen. Auch diverse Statussymbole sind bewährte Kommunikationsmedien, überdies erbauliche Vergnügungen für jene, die sich damit zeigen.

Manchmal werden solche Formen menschlicher Selbstinszenierung auch in einem Korso zelebriert, in einer Prozession, eventuell in einem Rennen dargestellt, ebenso zur Schau auf eine Bühne gebracht, egal ob Fasching, Fronleichnam, Advent oder einfach Party. Auch Wahlkampf- und Protestveranstaltungen sind gelegentlich von allgemein identifizierbaren Code-Elementen begleitet, damit Menschen mit ihrer Aufmerksamkeit leicht andocken können.

Dodge Charger: Muscle Cars müssen nimmer überarbeitet werden.

Einst konnte etwa die Art, wie ein Schürzenband gebunden wird, Auskunft geben, welchen Beziehungsstatus eine Frau hat. Noch weitreichender waren die Reglements frühere Standestrachten, über die man soziale Zugehörigkeit erkennen ließ.

All das verdichtet sich zuweilen als ein Teil von Volkskultur. Was radikal neu ist, hat sich aus individueller Mobilität und aktueller Kommunikationstechnik ergeben, wie man sie Mitte des 20. Jahrhunderts so noch nicht kannte.

Damit entfiel allerhand an regionalen oder lokalen Effekten, die man einigermaßen klar zuordnen, identifizieren konnte. Die Welt einzelner Menschen ist eben größer geworden. Was Sie nun hier in dieser Zeit.Raum-Episode sehen, ist ein kleiner Blick auf ein großes kulturelles Thema. Nachdem Phaeton, Prometheus und Daedalus in Europas Mythen schon die Wege geebnet hatten, wurde es um Flammen, feurige Pferde und schnelle Wagen nie mehr still.

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Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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