Ich hatte zwischen der vorigen und dieser Notiz die Gelegenheit, mich mit Graphic Novelist Chris Scheuer über das Thema zu unterhalten.
Wir sind uns völlig einig, daß ein Leben in der Kunst obsessive Wurzeln hat und sich bezüglich eines bevorzugten Genres erst einmal an vorhandenen Talenten ausrichtet. Die Natur streut spezielle Dispositionen blind aus. (Irgendwer kriegt irgendwas.)
Mit Dispositionen meine ich innere Befindlichkeiten, die gewiß zu einem Teil auch auf so oder so getönter Körperchemie beruhen, denn was wir als ein Wechselspiel zwischen Seele und Körper erleben, worin sich Geist manifestiert, hat sehr bedeutende chemische Grundlagen.
Jeder Einfluß auf dieses chemische Gefüge, sei es mit körpereigenen Substanzen, sei es mit zu sich genommenen Stoffen, verändert die Kognition eines Menschen mindestens temporär. Aber es sind auf solche physischen Grundlagen mächtige Optionen draufgesetzt; falls man so einen Weg gehen möchte.
Pose oder Position?
Scheuer hat über all die Jahrzehnte sicher ein sehr eigenwilliges Leben geführt und ich meine, er gedeiht mit einer äußerst niedrigen Reizschwelle, wo ihn jemand allenfalls zu gängeln versucht oder ihn herumschubsen möchte. Dabei zeigt er sich in einigen Aspekten eher unangepaßt oder sogar ablehnend.
So eine Position wird von kunstaffinen Spießern gerne – etwas romantisch – zu einer Art des bohemehaftem Nonkonformismus umgedeutet. („Künstler sind eben so.“) Sowas ergibt dann oft Sehnsuchts-Konstrukte, mit denen Kunstschaffende per Zuweisung auf irgendwelche Tugenden festgenagelt werden sollen.
Das ist freilich Unfug! Es gibt keine Moral der Kunst und Kunstschaffende leben nach ganz unterschiedlichen ethischen Konzepten, wie andere Menschen auch. Eine spezielle Spießerphantasie ist zum Beispiel der Künstler als Rebell. Dieses Phantasma ist eine Art verstaubte Statuette in dunklen Nischen aufgeräumter Salons. Eine Variante von Radical Chic, nichts Konstituierendes in der Kunst. (Wer „Rebell“ für ein Lebenskonzept hält, sollte erwachsen werden.)
Was wir dagegen beide kennen, ist eine Disziplin in der Arbeit, ein Ringen um Folgerichtigkeit, weil sich Qualität ja nur so erarbeiten läßt. Das meint: ein exzellentes Werkt kann nicht erschwindelt werden. Mit Tricks gingen sich nur Surrogate aus. (Sowas kann man im Baumarkt anbieten.)
Aber hier, im möglichen Gelingen eines realen Lebens in der Kunst, ist es wie mit vielen anderen Disziplinen. Wo man eine Arbeit um ihrer selbst willen gut machen möchte, und das ist eine Voraussetzung für das Anstreben von Qualität, gibt es bestenfalls Umwege, doch keine Abkürzungen. Das ist etwas Berufliches. Eine Frage von Professionalität. (Es läßt sich ohne weiteres mit Arbeitsethos überschreiben.)
Wer nun Kategorien der Kunst mit sozialen Kategorien verwechselt, rennt am Thema vorbei. Das gilt übrigens auch für Belange des Marktes, denn Geldverdienen ist keine Kategorie der Kunst. Es ist eine soziale Kategorie; außer man macht es inhaltlich zum Gegenstand eines Werkes.
Ganz einfach: es ist ein Beruf
Das mitbekommene Talent, die passenden Entscheidungen für ein bevorzugtes Genre, die konsequente, auch disziplinierte künstlerische Arbeit, laufend begleitet von Wahrnehmungserfahrungen, von Rezeption und Reflexion, dazu ein ständiges Üben des Handwerks, ohne bei all dem die Jahrzehnte mit romantischen Klischees zu verplempern, das sind völlig unspektakuläre Grundlagen eines Lebens in der Kunst.
Einiges davon ist eine Profession, einiges ist sehr intim und daher Privatsache. Wer meint, sich mit diese Zusammenhängen pittoresk kostümieren zu müssen, um im öffentlichen Leben jederzeit als Künstler erkennbar zu sein, fällt für mich unter den ersten Lehrsatz des steirischen Buddhismus, der da lautet: „Mir wurscht!“
Ob man sich dabei nach einem großen Publikum verzehrt und danach, in die Geschichtsbücher eingetragen zu werden, ob man das ablehnt und eher mönchisch an seinen selbstgewählten Aufgaben arbeitet, halte ich dabei für nachrangige Fragen. (Hier gilt Antwortvielfalt.)
Wesentlich bleibt, und derlei erlebt Scheuer ebenfalls, das sich in einigen Bereichen der Arbeit eine große Mühelosigkeit entwickelt, vertieft. Ich muß nicht mehr grübeln, wenn ich in ein Vorhaben hineingehe, denn der Entschluß dazu ist in einem vorangegangenen Prozeß entstanden, der mir leicht fiel. Der Rest ist die Kür.
Ich war dann allerdings überrascht, daß Chris Scheuer es für seine Arbeit ebenso betonte. Der gleiche Groove. Sobald er zu zeichnen begonnen hat, gilt: „Der Zustand davor ist entscheidend. Mit der Zeichnung selbst befasse ich mich dann eigentlich gar nicht mehr. Die wird ausgeführt. Sie ist die Konsequenz des Zustandes, in den ich davor gekommen bin.“
+) Meta (-ebene, eine Übersicht)
Postskriptum
Die Grafik stammt aus dem Band #1 der „AutoBioGraphicNovel“, die im Herbst 2023 in der deutschen „edition aleph“ erscdeinen wird.