Routen 252: Semper Vivus

Dieser „Semper Vivus“ ist ein aufwendiger Nachbau, so nahe wie möglich am historischen Original von 1900 gehalten.

Hebelgesetz: Erstaunlich kleines Lenkrad für die mächtige Fuhre.

Dazu waren allerdings bloß ein paar Zeichnungen und alte Fotografien verfügbar. Viele Details mußten in einer Art der Wissensarchäologie erhoben werden. Auf dem ersten Foto erkennt man sehr gut die elektrischen Radnabenmotoren und den Röhrenkühler für die kleinen Benziner. Das Hybride steht also im Vordergrund. Entsprechend massive Achsschenkel.

Und daß die Fuhre so hoch ist, wird vor allem durch zwei Aspekte gemildert. Die Gewichte der Radnabenmotoren und der Batterie drücken den Schwerpunkt nach unten. Außerdem war er (aus heutiger Sicht) langsam.

Ferdinand Porsche hatte auf dem Weg zu diesem Fahrzeug eine damals völlig neue Lösung gefunden, Motorkraft auf die Straße zu bringen. Anno 1900 war schon der „Lohner-Porsche“ entstanden, ein E-Mobil mit Radnabenantrieb, welcher aus einer Batterie gespeist wurde.

Dann die nächste Entwicklungsstufe. Um die Batterie mit Strom zu versorgen, kombinierte Porsche zwei separat eingebaute, wassergekühlte Benziner mit zwei Generatoren. (Ein Aufladen der Batterie vom Netz war damals noch nicht möglich.)

Ein DeDion Schnüffelmotor aus jener Zeit.

Die Benzinmotoren dieses Nachbaus sind allerdings aus der Zeit, denn es sind viele des einst enorm erfolgreichen Anbieters heute noch funktionsfähig. Hier also DeDion-Bouton-Viertakter mit jeweils 700 Kubikzentimetern Hubraum und etwa 3,5 PS Leistung. Solche Schnüffelmotoren von DeDion wurden seinerzeit quer über den Kontinent gekauft und verbaut, so übrigens auch im Albl Phönix, einer Voiturette aus Grazer Produktion. (Siehe vorige Notiz!)

Ich schiebe hier ein Foto des Phönix ein, damit Sie sehen können, was das für zarte Maschinchen waren, wenn man an heutige Kraftwerke denkt. „Schnüffelmotor“ bedeutet, der hatte noch keine Nockenwelle. Das Einlaßventil öffnet sich bei Unterdruck und schließt sich nach dem Druckabfall wieder.

DeDion hatte übrigens auch mit einem Motordreirad Furore gemacht, das unter anderem Johann Puch als Vorbild für seine Motorradproduktion diente. Das heißt, wie oben erwähnt, diese Werkel gingen in für damals hohen Stückzahlen raus, weshalb man heute noch welche erwerben kann, wenn man die Sache zäh genug und oft über Jahre verfolgt.

Range Extender
Die bewährten Benziner, mit den Generatoren gekoppelt, funktionieren als Range Extender, der bei Bedarf Ladung liefert. Und zwar für die Batterie, mit der gefahren wird, nicht direkt für die Motoren.

Ein offener Viersitzer, also Doppelphaeton.

Außerdem kann man die Generatoren umschalten. Wenn man sie mit Strom aus der Batterie beschickt, funktionieren sie als Elektro-Motoren, in diesem Fall als Starter für die Benziner. Ein wichtiges Detail, weil das Anwerfen von Benzinmotoren mit der Kurbel über Jahrzehnte die Gefahr von Knochenbrüchen barg.

Hand- und Armknochen konnten von rückschlagenden Kurbeln versehrt werden. Ich kannte das Problem noch von meinen ersten Motorrädern, großvolumigen Eintöpfen, die nur mit dem Kickstarter anzuwerfen waren. Wehe, man pumpte vorher den Kolben nicht zum oberen Totpunkt. Das konnte einen üblen Schlag ins Knie verursachen.

Der Startergenerator, also ein Aggregat, das zugleich Lichtmaschine und Anlasser ist, wird bis heute bei verschiedenen Kraftfahrzeugen verwendet. Der Semper Vivus war also auch darin innovativ. (Ich kenne kein älteres Beispiel für ein Kraftfahrzeug mit E-Starter.)

Ein Brocken
Der Wagen ist ziemlich schwer und ihn zu lenken verlangt eine gute körperliche Konstitution. (Mich wundert, daß man ihm kein größeres Lenkrad verpaßt hat, um mehr Hebelwirkung zu erlangen.) Von den rund 1,7 Tonnen fallen je 272 Kilo auf die Vorderräder mit den Elektromotoren, die jeweils 2,7 PS liefern. (um Vergleich: die Benziner bringen je 3,5 PS.)

Der Semper Vivus auf der Geneva Motor Show (Foto: Autoviva, CC BY 2.0)

Porsche hatte treffend gemeint, daß eine mechanische Verbindung zwischen Motor und Achse ein Energiefresser sei. Außerdem konnten die Benzinmotörchen jener Tage nicht gerade mit Drehmoment glänzen, was bei jeder Steigung spürbar wurde. [Wird fortgesetzt!)]

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Postskriptum
Ich fand bisher keine These, wie es zur lateinischen Bezeichnung für das Auto gekommen war. Ferdinand Porsche ist ja kein Akademiker, sondern ein Handwerker gewesen, hatte also die Schulzeit sicher ohne Latein zugebracht.

Aber in einem Imperium, wo des Monarchen Motto „Viribus Unitis“ („Mit vereinten Kräften“) lautete, konnte das „Semper Vivus“ („Immer lebendig“) eventuell eine Referenz an gut gestellte Kundschaft sein. Man mußte ja sehr vermögend sein, um sich in diesen frühen Jahren ein Auto leisten zu können.

Zum Vergleich: der Rennwagen aus dem selben Jahr. (AAZ)

„Das jüngste Erzeugniß der Firma Lohner ist ein elektrischer Rennwagen, der am 23. September auf den steilen Serpentinen des Semmering einen vollgiltigen Beweis seiner ganz besonderen Leistungsfähigkeit erbracht hat.“ (Allgemeine Automobil-Zeitung, 30. September 1900)

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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