Was die Kunst an sich sei, ist eine philosophische Frage. Damit muß ich mich nicht weiter beschäftigen. Das wird seit Platon von der Philosophie erledigt, neuerdings womöglich auch von der Kunstgeschichte, woher ich dann gelegentlich Denkanstöße beziehe.
Was auf dem Kunstmarkt als relevant und vorrangig gilt, kann mir in seiner ökonomischen Dimension egal sein, denn ich hab vor Jahrzehnten entschieden, daß ich mein Brot hauptsächlich im kunstnahen Bereich verdienen will, weshalb meine künstlerische Arbeit nur selten aktuellen Marktfragen unterworfen ist. Aber auch vom Kunstmarkt kommen interessante inhaltliche Impulse.
Mich interessiert sehr, wie sich Kunst in vielfältigen Werken manifestiert. Da bin ich hauptsächlich Rezipient. Allerdings gehe ich manchmal in andere Kunstgenres rein, um deren Sprache von innen kennenzulernen; im Sinn interdisziplinärer Praktiken.
Mich beschäftigen freilich auch Kunstdiskurse. Ich beziehe aus all dem einerseits Wahrnehmungserfahrungen, andererseits Denkanstöße. So kann ich für meine sinnlichen und für meine intellektuellen Zugänge sorgen.
Man mag aus diesen Zeilen schon herausgelesen haben, daß ich zwischen Kunst und Kunstwerk unterscheide. Kunst ist eine Angelegenheit des symbolischen Denkens und der Transzendenz. Kunstwerke sind Manifestationen. Ein Werk ist Ausdruck von Kunst, ist aber nicht die Kunst selbst. Manche Leute schreiben den Werke eine spezielle Aura zu. Ich nicht.
Für mich ergibt sich da keine Fetischbeziehung. Was da in der Rezeption an Besonderem stattfindet, ereignet sich in mir und geht nicht vom Kunstwerk aus. Das eine ich mit der Wahrnehmungserfahrung, die allerdings einer hinreichenden Qualität des Werkes bedarf.
Ich sehe eine tiefergehende konkrete Verbindung erst jenseits der ästhetischen Erfahrungen in Dimensionen der Quantenphysik. Doch das ist – im Gegensatz zu esoterischem Getue mancher Leute – für vorsätzliche Akte nicht zugänglich. Wir haben nicht einmal adäquate Begriffe, um quantenphysikalische Phänomene zu erläutern.
Wir haben auch keine hinreichenden Vorstellungen von jenen Vorgängen und Zusammenhängen. Ich halte es für vertretbar, das Phänomen Kunst in solchen Zusammenhängen begründet zu sehen. Natürlich ist die Transzendenz nicht nichts. Die Befassung mit Kunst ist eine Möglichkeit, darauf einzugehen. Aber greifbarer wird es nicht.
Der Homo sapiens hat sich erst vor rund zwei Millionen Jahren physiologisch so entwickelt, daß unsere Gehirn eine komplexere Kulturfähigkeit möglich werden ließ. Einige Höhlenmalereien, die weit über 60.000 Jahre alt sind, geben eine Ahnung, welche Zeiträume durchmessen werden müssen, um zu bedeutenden nächsten kulturelle Entwicklungen zu gelangen. Die neolithische Revolution, in der Menschen Ackerbau und Seßhaftigkeit entwickelt haben, begann vor etwa 20.000 Jahren.
Ob man all das wissen muß?
Nein, muß man nicht. Außer man ist in diesem Metier tätig. Oder man fragt sich, was die Conditio humana ausmacht, innerhalb derer wir als Spezies über das Vegetieren zum Überleben hinausgelangt sind; und wie es dazu kommen konnte. Denn was immer Menschen geschaffen haben, das Meiste davon ist als Idee erst einmal die Frucht von symbolischem Denken.
Dabei sehe ich die Kunstpraxis als puristische Form in der Anwendung des symbolischen Denkens, weil sie keinen anderen Zwecken als jenen der Kunst gewidmet ist; vergleichbar der Grundlagenforschung gegenüber angewandten Formen der Wissenschaft.
Wer also meint, Kunst sei eine Art Orchideenfach, hat keine Ahnung, wie fundamental wichtig dieses Genre für unsere Spezies geworden ist. Das kann einen interessieren, muß es aber nicht.
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Postskriptum
Im Jahr 2008 fand einer meiner Besuche bei Hannes Schwarz (†) in Weiz statt. Zu jener Zeit war er rund 82 Jahre alt und aufgrund seiner Erkrankung schon viele Jahre nicht mehr in der Lege gewesen, einen Pinsel zu führen. Schwarz ist ein Maler von internationalem Rang, seine Oeuvre damals eben schon abgeschlossen, weil malerisch nicht mehr erweiterbar.
Meine Notiz von jener Zusammenkunft: „An einem Nachmittag sagte Schwarz auf der Terrasse seines Hauses: ‚Es wohnt eine tiefe Unsicherheit neben meiner Sicherheit.‘ Was für eine Lektion! Ein Metier ohne Gewißheiten. Stets bleibt etwas offen. Manchmal bleibt alles offen. Der alte Mann sagte lächelnd: ‚Oft habe ich das Gefühl, meine Zeit kommt erst!‘ Nach einer kleinen Pause fügte er hinzu: ‚Wenn der ganze Jahrmarkt vorbei ist.’“ [Quelle]