Es gibt eine plötzlich einsetzende Ermüdungserscheinung im Geistigen, die auch schmerzhafte körperliche Momente mit sich bringt. Eine Art spontanes Schamgefühl, welches sich überdies physisch manifestiert.
Längerfristige Komplexitätsreduktion, die sich in ständig wiederkehrenden, sehr klischeehaften Sätzen und Satzteilen ausdrückt, ramponiert Absender und Empfänger gleichermaßen. In der Vergangenheit waren derlei Effekte wenig bekannt, weil das notorische Sprücheklopfen meist begrenzte Reichweite hatte.
Die meisten Praktikanten des Großklapperatismus betraten ja keine Bühnen, sondern übten sich in realer sozialer Begegnung mit Einzelpersonen oder mit Grüppchen, in denen andere Menschen zwischendurch auch zu Wort kommen mochten. Das ermöglichte eine Ökonomie der Seele.
Früher war alles besser!
Man fand Zeit zum Luftholen und zur Erholung in kleinen Pausen, was schließlich auch dem Körper guttut. So ließ sich die intellektuelle wie auch seelische Erschöpfung mindern oder gar verhindern.
Aber die Sprücheklopferei via Social Media setzt ein ganz anderes Kräftespiel in Gang; nicht nur bei den Leuten, die man anspricht, auch bei einem selbst. Wer mit ausgedehntem Phrasendreschen in den öffentlichen Diskurs drängt, produziert eine Leere, die nun nicht bloß das eigene Gemüt auszufüllen beginnt, sondern diesen Effekt auch für andere Menschen erkennbar macht. (Man stell sich konsequent bloß.)
Das kann zu unterschiedlichen Reaktionen führen, zu tätiger Abscheu ebenso wie zu einer Art Retour-Leere, die das Zeug hat, Potentialsprünge der Leere auszulösen. Es führt zum hohlen Klang nicht bloß der Phrasen, die man ausstreut, sondern kontaminiert alle Äußerungen dieser Person. Das kann in der webgestützten, also in der massenmedialen Situation zu einer Art Kettenreaktion des intellektuellen Abgleitens führen.
Kennen Sie das Bonmot „Man ist was man ißt“? Wir sprechen dann nicht umsonst auch von geistiger Nahrung. Schund und Ramsch wirken. Um kurz bei der Physis zu bleiben, stelle Sie sich vor, jemand würde einige Zeit lang bloß Styroporkugeln und in Orangensaft getauchte Watte essen. Kann man machen und damit vorzüglich schlank bleiben. Aber erwähnenswerte Leistungen werden dann wohl zunehmend unmöglich. Es ist im Geistigen doch ähnlich.
Beispiele?
Ich nehme an, sie kennen die populärsten Versionen gedroschener Phrasen aus den vergangenen Jahren. Ich brauche dem also eher nichts hinzuzufügen. Ein paar Beispiele: die gespaltene Gesellschaft, die Lügenpresse, die schweigsame Kunst, die gekaufte Wissenschaft, die korrupte Regierung, die unkontrollierte Massenzuwanderung, The Great Reset… Lauter Stereotypen und Verallgemeinerungen aus dem Handbuch für „Bullshit Bingo“.
Der ganze Ramsch, wo er redliche Debatten ersetzt, in denen ja auch Dissens ganz normal und ein gutes Zeichen wäre, führt in die Abteilung „Das Wasser ist naß“, wahlweise „Der Papst ist katholisch“. Ich finde auch zeitgemäße Varianten von „Alles Nutten, außer Mutti“.
Quantenphysik
Die längerfristige Phrasendrescherei, das beherzte Sprücheklopfen, all das verdichtet eine innere Leere bei deren gleichzeitiger Expansion. Sie wird also dichter und größer zugleich.Ich tippe auf einen Vorgang der Quantenmechanik. Ein heimtückischer Effekt aus dem Komplex der Danning-Kruger-Phänomene.
Das führt unausweichlich zu einer intellektuellen und emotionalen Zermürbung, die sich als ausgeprägter Floskelkater manifestiert. Eine zähe, lauwarme Beeinträchtigung der Menschen, welche in ihren aktuellen Fassungen noch kaum hinreichend erforscht ist. Wer da nicht sofort gegensteuert, riskiert einen völligen Zusammenbruch seiner oder ihrer intellektuellen Selbstachtung.
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