Bevor die Nacht kam, stand Eton Mess auf dem Tisch. Vor dem Hintergrund, daß wir einige Flaschen vorzüglichen Weins zu ergründen hatten. Dazwischen ein Hauch von Regen. Und die wärmende Glut.
In diesen Stunden wurde klar, daß meine Konzentration auf den Ort Neudau und die vormalige Textilfabrik Borckenstein ins Archiv gehört. (Die historische Hintergrundfolie „Dampfmaschinenmoderne“ hängt ohnehin wie eine alte Tapisserie in meinem Kopf.)
Petrovaradin
Zur Erinnerung: Jene rund 50.000 Quadratmeter Fabrikshallen im oststeirischen Neudau gehen auf einen Betrieb zurück, der gerade einmal zwei Jahrzehnte nach einem besonderen geschichtlichen Akt gegründet wurde. Der Schotte James Watt hatte anno 1769 das Patent Nr. 913 für seine Optimierung der Dampfmaschine erhalten und so den Lauf der Welt verändert.
Im Jahr 1789 gründete Karl Josef Batthyány jene Textilfabrik, auf die Ex-Borckenstein zurückgeht. Batthyány hatte sich unter anderem als Feldherr unter Prinz Eugen bewährt, so bei Schlachten von Petrovaradin, Temeswar und Beograd. (Unten links Neudau, rechts Petrovaradin.)
Die Festung von Petrovaradin war im 17. Jahrhundert das größte Bollwerk Europas. Ich hab mich dort im Jänner 2013 umgesehen, dann mit Kunsthistorikerin Mirjana Peitler-Selakov in Novi Sad einen kleinen Akzent vor einem riesigen Schlachtengemälde gesetzt.
Das mag verdeutlichen, weshalb mir prozeßhafte Arbeit wichtig ist. Unsere Annahmen über historische Verläufe ergeben eine Art von Denkräumen, die ich mit großer Neugier erkunde. Was nun mein Vorstellungen von Wissens- und Kulturarbeit in der Provinz ausmacht, das muß sich in Ruhe und in angemessenen Zeiträumen entfalten können. (Das wurde in jüngerer Vergangenheit vor allem von der Politik und von der Verwaltung oft überhaupt nicht verstanden.)
Es sind ja genau solche historischen Zusammenhänge, die mir erst begreiflich machen, wo wir stehen; im Sinne von: wodurch wir wo angelangt sind. Aber! Wein. Und Eton Mess. (Das ist eine britische Nachspeise, die aus zerbröseltem Windgebäck, Schlagrahm und Erdbeeren besteht. Kriegt man nie mehr von den Hüften runter.)
Jahresfrist
Ich saß letzten Sommer mit dem Architekten Winfried Lechner und dem Pädagogen Franz Wolfmayr an einem Tisch. In genau dieser Besetzung hatte meine Konzentration auf Neudau am 25. Juli 2022 begonnen.
Die betreffende Notiz in meinem Logbuch steht unter dem Stichwort Transitionen: „Ich hab gestern einiges über Knoblauch gelernt. Und über Paradeiser. Schließlich aber auch darüber, wie man gewissermaßen zwischen Zutaten flaniert, diesem oder jenem Stück zulächelt, Passendes kombiniert; und dann kommt so ein Abend heraus, der übrigens auch von einer kleinen Wanderung quer durch verschiedene Weingeschmäcker handelte.“ [Quelle]
Rund ein Jahr danach ist am selben Tisch klar: Die Optionen für das geplante Kunstprojekt hatten sich erschöpft. Wir gehen mit dem Vorhaben an einen anderen Ort. (Daran wird eben gearbeitet.) Damit bekommen meine kleinen Täfelchen ihren nächsten Sinn.
Axiom, kursorisch
Wenn ich etwas aus dem Vorherigen nicht herleiten kann, mag es nötig werden, ein Axiom aufzustellen. Das ist ein Ausgangspunkt, der nicht abgeleitet und nicht begründet sein muß. Ähnlich einer Annahme in der theoretischen Physik, einem Gedankenexperiment, das sich in Köpfen ereignet, bevor eine technische Versuchsanordnung verfügbar ist, mit der die Annahme überprüft werden kann.
Ich hatte mit Künstler Joachim Eckl in den Neudauer Fabrikshallen einen axiomatischen Moment herbeigeführt, ähnlich der Session in Novi Sad. Jänner 2013: Novi Sad und Petrovaradin, August 2022: Neudau. Ich mag solche Zeitbögen, in denen sich manche Überlegungen entfalten. Siehe zu Neudau: [Link]
Am 9. August 2022 notierte ich unter den Stichwort Landpartie in meinem Logbuch: „Müßte man nicht herumgehen, sondern könnte sich wie mit einem Atemzug von einem Raum zu nächsten überblenden, dann würde einem auffallen, wie sehr jeder Raum seinen eigenen Klang hat. Das sagte Germaine Sijstermans, als wir unseren Indoor-Wandertag in Neudau absolvierten.“ [Quelle]
Nun also der nächste Abschnitt. Einige Verhandlungen laufen noch. Es steht fest, daß wir in der Oststeiermark bleiben.
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