Menschliches Wissen geht sehr schnell verloren. Haben Sie eine Vorstellung, was zum Beispiel Ihre Großeltern einst konkret über dieses oder jenes Thema gedacht hatten?
Die mündliche Überlieferung verblaßt rasant, wandelt sich auch. Es ist ein wenig wie das Kinderspiel „Stille Post“. Da kommt es dauernd zu Abweichungen in der Übertragung. Nicht zu vergessen: auf manche Themen wirken mitunter Interessenslagen der Leute, die etwas weitertragen, intensiv ein.
Da sind dann Dokumente als Quellen sehr hilfreich. Zwar unterliegen sie auch der Deutung, was heißt, die Personen, von denen eine Bearbeitung der Dokumente geleistet wird, sind naturgemäß nie völlig unbefangen. Aber die Geschichtswissenschaft hat Methoden entwickelt, dank derer sich das Subjektive passabel eingrenzen läßt.
Kunsthistorikerin Monika Lafer hat mir für meine aktuelle Episode im Gleisdorfer „Zeit.Raum“ eben ein bemerkenswertes Dokument zusammengestellt. Sie forscht seit Jahren zu „Arthur Kurtz (1860-1917) und Augustin Kurtz-Gallenstein (1856-1916). Zwei Künstler im Spannungsfeld zwischen Tradition und Aufbruch“. Aus dieser Forschungsarbeit hat sie folgenden Beitrag abgeleitet:
Camillo Kurtz (1896-1973)
Der Künstler und seine Rolle als Soldat
[Eine NID-Publikation]
Es gibt Erfahrungen, die scheinen uns nachvollziehbar, auch wenn man keine vergleichbar extremen Situationen erlebt hat. Zitat Kurtz: „Endlos scheint mir Kälte, Sturm und Einsamkeit in dieser Finsternis und mein Herz war verschüchtert, gemartert und zagend vor Angst. Allein, nichts als die gähnende Oede einer finsteren Gebirgsnacht, Abgrund, Gefahr, Bangnis.“
Das ist – nebenbei bemerkt – eine der großen Bedeutungen von Literatur. Wir müssen eben nicht alle Erfahrungen selbst machen, um einen weiteren Horizont zu erlangen. Hier ist also Originalton aus der Zeit verfügbar, hat überdies mit der Region, mit der Oststeiermark zu tun.
Lafer notierte: „Der akademische Maler Camillo Kurtz diente in beiden Weltkriegen als Soldat. Aus seinen Tagebuchaufzeichnungen geht hervor, dass er eigentlich als untauglich eingestuft war. Er rückte freiwillig in den Ersten Weltkrieg ein, kehrte traumatisiert zurück und verachtete jede nationalistische Gesinnung.“
Über solche Momente haben wir auch heute nachzudenken: „Aber wo Soldaten waren, wird alles verwüstet, wie von Heuschreckenschwärmen: alles wird gebraucht. Die Fensterrahmen, die Türen, die Möbel zum Heizen der Feldküchen und die Zerstörung ist das Natürliche. Der einzelne Soldat ist eingebacken in die Masse wie die einzelne Ameise: ein dunkler Zwang hält sie, eine Pflicht.“
Ich habe in einer voangegangenen Episode im Zeit.Raum die Begriffe Rebell und Flüchtling herausgestrichen. Aktuell steht für mich das Wort Held im Fokus. Über den Begriff Pflicht wäre dann auch noch zu reden. Lafers Publikationen: [Link]
+) Episode XXVIII: Seele (Eine Erkundung)
+) Eine steirische Kurtzgeschichte (Übersicht)