Da sind drei markante Stellen in Gleisdorf: Ein Ort der Klarheit, ein Ort der Glorifizierung, ein Ort der Entzauberung.
Auf dem Gleisdorfer Friedhof gibt es einen speziellen Winkel, in dem Tote Soldaten vom März und April 1945 begraben sind, manche davon namenlos. Es war ein letztes und sinnloses Aufgebot, das gegen die militärische Niederlage des Nazi-Faschismus losgeschickt wurde. Dort wird der „toten Kameraden“ gedacht. (So übrigens auch an der Wand der Aufbahrungshalle.)
An der Mauer der Stadtpfarrkirche geh es dann aber um „unsere Helden“, wofür sich die toten Soldaten zweier Angriffskriege wohl noch aus dem Grab heraus bedanken möchten. Ich meine, kaum einer von den abertausenden Landsern wollte aus eigenem Antrieb erstens in eine Schlacht ziehen und zweitens sein Leben für die Zuschreibung „Held“ geben.
Die dritte Station ist das Mahnmal zur Erinnerung an den Todesmarsch von Juden, der durch den Raum Gleisdorf geführt wurde. Da wird das wahre Gesicht von Krieg erkennbar, wo brutalisierte Leute ihre Mitmenschen zu Gegenmenschen umdeuten, schließlich zu Nichtmenschen, der Leben angeblich keinen Wert hat.
Soldaten
Ich habe unzählige Debatten erlebt, in denen sich Menschen die intellektuelle Bequemlichkeit leisten, Soldaten grundsätzlich für schießwütig und mordlustig zu halten. Dieser dreiste Unfug blendet alles aus, was wir über Machtpraxis und eine vorherrschende Männerkultur seit wenigstens dem Neolithikum wissen. Es ignoriert auch, was heute über Schlachtfelder und kämpfende Einheiten bekannt ist.
Wer sich mit diesem Komfort einer weitreichenden Komplexitätsreduktion eingerichtet hat, kann nichts Nützliches dazu beitragen, die Welt friedfertiger zu machen. Weshalb ich das meine?
Patriarchale Strukturen beruhen unter anderem auf einem hohen Maß der Gewaltbereitschaft und auf der Möglichkeit, Menschen zu überwältigen und zu unterwerfen. Spätestens seit der Bronzezeit waren wir in der Lage, durch neue Techniken der Metallverarbeitung Kleinserien von Gegenständen herzustellen, also auch Waffenarsenale aufzubauen, ergo leistungsfähige Kampfverbände zu organisieren.
Der Dreißigjährige Krieg ist ein markantes Beispiel, wie Technologiesprünge zu Kategoriensprüngen in der Feuerkraft geführt haben, was neue Organisationsformen für Kombattanten erforderlich machte. Dem folgte der Westfälische Frieden, in dem für Europa erstmals breit verhandelt wurde, was denn überhaupt ein regulärer Krieg sei und wer befugt sein soll, ihn zu führen.
Mit dem Großen Krieg von 1914 bis 1918 hat die umfassende Mechanisierung des Krieges jenen Status an Gewaltpotentialen herbeigeführt, mit denen wir heute leben müssen. Das Personal dazu wurde in mehreren historischen Entwicklungsschritte rekrutiert und ausgebildet.
Knaben galten mit fünfzehn Jahren als „waffenfähig“. Das ist keine frühgeschichtliche Kuriosität, als Menschen allgemein nur selten ein hohes Alter erreichten. Unsere Leute haben zuletzt im „Volkssturm“, dem letzten Aufgebot der Nazi, gezeigt, daß man Teenager in die Schlacht schicken und dort verbrennen kann.
Ohne Propaganda klappt das nicht
Zu all dem kommt ideologische Arbeit, die nicht bloß Jahrhunderte durchdrungen hat. Es ist ein unbeschreiblicher Aufwand an Propaganda, die uns zuletzt den „soldatischen Mann“ als Ideal angedient hat, wie er wenigstens seit dem 19. Jahrhundert als Spitzenkraft der Männerkultur beworben wird.
Ein Stereotyp, das spätestens in den 1990er Jahren sein großes Revival hatte und jüngst auch durch den Überfall Rußlands auf die Ukraine wieder forciert wird. Man kann diese Trends sehr gut an Hollywoods Mainstream-Kino ablesen. Aber auch auf anderen Feldern boomt die „Kerl-Nummer“; nicht zuletzt, um Identitätsprobleme und offene Rollenfragen von Legionen an Männern zu kaschieren.
Ich halte es daher für unverzichtbar, begrifflich unterscheiden zu können, was das patriarchale Konstrukt „Der soldatischen Mann“ vom Personal der Armeen allenfalls unterscheidet und welche Schnittpunkte es gibt.
Wir sollten auch unterscheiden können, was reguläre Truppen sind, was eine marodierende Soldateska ist und was Freischärler sind; im Kontrast zu bewaffneten Räuberbanden.
Wer das alles beliebig vermischt und mit simplen Zuschreibungen abzuhandeln sucht, blockiert das Aufarbeiten dieser Prozesse, statt sie zu fördern, denn wo wir auf stichhaltige Befunde verzichten, können wir an Problemen nicht sinnvoll arbeiten.
+) Episode XXVIII: Seele (Eine Erkundung)