Wehret den Anfängen

Es hat den Anschein, als sei diese Empfehlung dem Umgang mit dem Faschismus gewidmet, aus der Erfahrung entstanden, daß er Verbrechen gebiert.

Woran erkennt man die Brutalisierung einer Gesellschaft?

Aber dieser Rat ist weit älter und grundlegender. Ovid, ein römischer Dichter, der zu Beginn unserer Zeitrechnung lebte, verfaßte nach dem Lehrgedicht „Ars amatoria“ („Kunst des Liebens“) ein Werk über möglichen Kummer Liebender, seine „Remedia amoris“ („Heilmittel gegen die Liebe“).

Dort findet man diese Passage „Principiis obsta. Sero medicina parata, cum mala per longas convaluere moras.“ Die wird unter anderem so übersetzt: „Wehre den Anfängen! Zu spät wird die Medizin bereitet, wenn die Übel durch langes Zögern erstarkt sind.“

Der Sinn ist klar? Wenn es schmerzt, sollte man umgehend reagieren, sonst wird es bloß schlimmer. (Ich nehme an, daß muß nicht weite erläutert werden.)

Wovon zu reden ist
Der Faschismus war nie weg, er ist derzeit sehr lebendig. Wir haben darüber zu reden, welche Zeichen erkennbar machen, daß die Menschenverachtung sich institutionalisieren darf. Das heißt unter anderem, wir akzeptieren zunehmend, daß öffentlich ausgetragene Kontroversen, wie sie über Massenmedien erlebbar sind, das Beleidigen, das Herabwürdigen von Menschen beinhalten.

Wenn eine Gesellschaft das akzeptiert oder bloß duldet, sind Wege geebnet, die über Gewalt durch Sprache nicht bloß das Verletzen von Menschen fördern, sondern beizeiten auch zu physischen Gewalttaten führen, die mitunter in Morden gipfeln.

So ein Krieg der Worte ist immer ein verläßlicher Hinweis auf eine Brutalisierung von Gesellschaften. Er ist überdies eines der Fundamente faschistischer Gesellschaftszustände. Das bedeutet umgekehrt, wenn wir Zeiten erleben, in denen Gewalt durch Sprache praktisch alltäglich wird, dann haben wir eine präfaschistische Phase erreicht.

Das wissen wir nicht bloß aus dem Rückblick auf die Nazi-Ära und den Holocaust. Das wissen wir auch durch den Untergang Jugoslawiens. (Es ließen sich weitere Beispiele finden.)

Treffender Stehsatz
Ich hab zu all dem noch ein anderes Stück Literatur vorrätig. Im Jahr 1941 begann Bert Brecht, eben in den USA angekommen, mit der Arbeit an „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“. Das Stück wurde in Stuttgart am 10. November 1958 uraufgeführt.

Darin lautet eine Passage: „Ihr aber lernet, wie man sieht statt stiert / Und handelt, statt zu reden noch und noch. / So was hätt einmal fast die Welt regiert! / Die Völker wurden seiner Herr, jedoch / Daß keiner uns zu früh da triumphiert / Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“

Später variierte Brecht diese Passage für eine „Kriegsfibel“ (Frankfurt am Main 1968), da heißt es: „Das da hätt einmal fast die Welt regiert. / Die Völker wurden seiner Herr. Jedoch / Ich wollte, daß ihr nicht schon triumphiert: / Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.

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Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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