Autor Norbert Mappes-Niediek bot in Gleisdorf eine Orientierung zum Themenkomplex Balkan und der Untergang Jugoslawiens an.
Es war nicht bloß ein Krieg in Europa, sondern einer in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, noch dazu mit Menschen, Plätzen und Regionen verbunden, die viele von uns vor dem Krieg mehrmals besucht hatten. Man mag sich vormachen, jener Ausbruch vielfältiger Gewalttätigkeiten habe mit uns hier nichts zu tun, sei die Angelegenheit südslawischer Leute.
Was gehen uns diese Ereignisse an? Was wissen wir – jenseits von Klischees – über die 1990er Jahre und die Schicksale unserer Nachbarn? Mappes-Niediek hat seine Ansichten in einem erzählerischen Tonfall vorgetragen. Das prägt auch seine Arbeit. Er ist ein Erzähler, der seine Sachkenntnis in eine lateritische Form überträgt.
Dieser Modus ist hilfreich, um komplexe Zusammenhänge erfassen zu können. Wer es bisher noch nicht beachtet hat, mag vielleicht durch den Überfall Rußlands auf die Ukraine bemerkt haben: Was auch immer Europa an einem Eck erschüttert, hat Effekte an allen anderen Ecken des Kontinents. Das war natürlich auch in den jugoslawischen Kriegen der 1990er so.
Als Völker und Völkerschaften des Landes stufenweise aneinandergerieten, ergab das für uns eigentlich ein Lehrbeispiel, wie politisches Wollen und weitreichende Medienanwendung aus Mitmenschen in sehr kurzer Zeit Gegenmenschen machen können.
Mappes-Niediek erläuterte an einigen Beispielen, wie Interessenskonflikte zu tödlichen Feindschaften werden können. Dazu gab er einen knappen Abriß der holpernden Etappen von Staatsgründungen ab dem Ersten Weltkrieg. Das wurde für ganz Europa, eigentlich für Eurasien, ein gewaltiges und gewaltsames Kräftespiel.
In diesen Ausführungen lag dem Autor wohl auch daran, populäre Überzeichnungen des vormaligen Staatschefs Josip Broz Tito auf ein realpolitisches Maß zurückzuholen. So wurden etliche Dauerkonflikte der verschiedenen Ethnien Jugoslawiens besser nachvollziehbar.
Sieht man genauer hin, hört man Mappes-Niediek aufmerksam zu, könnte einem dämmern, daß etliche Probleme Europas gewissermaßen sehr jugoslawisch sind. Ich meine, das Buch „Krieg in Europa“ gibt einen fundierten Überblick, was in einem wesentlichen Teil Südosteuropas geschehen ist. Daran ist viel Exemplarisches.
Das rückt etliche menschliche Eigenschaften und politische Vorgänge ins Blickfeld, die wir hierzulande auch kennen. Damit wird die Lektüre zu einer Anregung, darüber nachzudenken, wie sich quer durch Europa ganz individuell, also persönlich, dafür Verantwortung übernehmen ließe, Feindseligkeiten im Zaum zu halten und Haß zu blockieren.
Das Beispiel des untergegangenen Jugoslawiens zeigt, wie schnell so was zu Toten führen kann. Norbert Mappes-Niediek: „Krieg in Europa“, fand übrigens am 9. Mai 2023 im Gleisdorfer Forum Kloster statt. (Eine Veranstaltung des Gleisdorfer Kulturreferates.) Das stand im Zusammenhang mit der Erinnerung an den Mai 1945, als die Nazi-Streitkräfte endgültig geschlagen waren.
+) Siehe dazu auch: „Balkan: Ein Krieg Europas“
+) Kontext: „Mai acht, Bruchstelle“ (Episode XXVI im Zeit.Raum)