Was? Jetzt schon? Na gut. Zeit verfliegt eben, wenn man tätig ist, statt in die Luft zu schauen.
Ferdinand „Fredi“ Thaler könnte es so erlebt haben. Diesen Preis bezahlen Menschen, deren Wißbegier und Tatendrang nicht abreißen wollen. Plötzlich sind 80 Jahre auf dem Tacho. Seit ich Altmeister Thaler kenne, habe ich den klaren Eindruck, daß er nicht vor Publikum gezerrt werden will, aber gerne unter Menschen ist. (Und natürlich in seiner Werkstatt.)
Ich habe mehr als eine Generation der Schrauber gesehen, die sich bei ihm Rat geholt haben oder auch seine Geduld strapazierten. Es gab Momente, da schien mir, er machte das Problem, mit dem jemand ankam, zu seinem eigenen, um es zu lösen.
Daß Thaler dem Lauf der Dinge meist entspann begegnet, dürfte unter anderem an einem grundlegenden Effekt liegen. Wenn man Kompetenzen erwirbt und einem etwas gelingt, macht das diese speziellen Zustand möglich, für den ich bloß einen alten Begriff kenne: Werkstolz.
Daraus kann ein Selbstbewußtsein erwachsen, welches es völlig unnötig macht, auf Kosten anderer zu expandieren. Dazu kommt, daß sich Thaler offenbar nicht bloß freuen kann wenn ihm was gelingt, sondern auch wenn andere was schaffen. Die Sache zählt, ein gutes Ergebnis verdient Respekt.
Ich denke, das wurzelt in einem Arbeitsethos aus den Tagen, wo es in Graz noch Steyr-Daimler-Puch AG hieß. Da gab es einerseits auch manch schwierige Charaktere wie etwa den Testfahrer und Motorsportler Hans Weingartmann, der als nicht besonders gesellig galt. Aber andrerseits konnten viele Aufgaben überhaupt nur gelöst werden, wenn Erfahrungen und Einfallsreichtum ganz verschiedener Leute zusammenfanden.
Apropos Motorsport!
Thaler hat damit auch reichlich Erfahrungen gemacht. Zwar kann man bei einem verschärften Puch-Schammerl nicht gut von einem Bordmechaniker sprechen, Kopilot gilt allemal. Thaler weiß spannende Geschichten zu erzählen, die vom Hühnerberg hinter Hausmannstätten bis hinaus nach Monte Carlo reichen. (Ja genau, die Rallye!)
Gemeinsames Handeln, gemeinsame Erfahrungen, reger Austausch. Da hatten alle einen Nutzen vom Know how der jeweils anderen im Kreis. Ich erinner mich an ein konkretes Beispiel, da stand Thaler mit Franz Tantscher und Karlheinz Scherhag (†) zusammen. Sie debattierten, wie die hölzernen Felgen der 1906er Puch Voiturette geformt sein müßten, um die Fahreigenschaften des Wagens in die Richtung zu verbessern, die später durch den Radsturz erreicht wurden.
Denken Sie bloß nicht, es sei müßig, heute solche Überlegungen anzustellen. Der menschliche Geist will stets üben, wie man Probleme löst, wenn man nicht alle anfallenden Fragen an ein Computersystem abgeben möchte.
Man kommt im Leben unweigerlich so manches mal an diesen oder jenen Punkt, wo analytisches und auch abstraktes Denken nötig sind, um aus einem Gscher herauszukommen, weil einem grad kein Computer der Welt helfen könnte.
Zukunftsfähigkeit
Das heißt: jetzt und nicht irgendwann üben wir unsere Zukunftsfähigkeit. Fredi Thaler ist ein markantes Beispiel für Menschen, die sowas einfach machen, ohne dafür einen Auftrag abzuwarten. Falls es gerade kein interessantes Problem gibt, sieht er sich um, was Sinnvolles getan werden könnte.
Solche Wege ergeben dann Mischungen dieser Art: Tüftler, Forscher und exzellenter Handwerker. Beachten Sie, daß sich Handfertigkeit nicht von selbst ergibt. Die Hände müssen lernen, mit dem Verstand eine Wechselbeziehung einzugehen, mit dem Kopf des Handwerkers zu kooperieren
Unsere Zukunft als Gesellschaft braucht solche Kompetenzen. Aber auch das alte Kulturgut aus der technischen Welt macht solche Fertigkeiten notwendig, denn vieles wurde seinerzeit nicht dokumentiert. Von allerhand Details wissen die meisten Leute nicht mehr, wie man das macht.
Wieso das heute mehr denn je zählt, wo wir doch längst mitten in der Vierten Industriellen Revolution angelangt sind und Maschinensysteme Dinge tun, wofür einst eine Legion von Menschen nötig war? Na, genau deshalb! Aus eben solchen Gründen bleiben wir auf Leute angewiesen, die Probleme vielfältiger Art auch ohne Diagnose- und Assistenzsysteme bearbeiten, schließlich lösen können.
Gerade weil technische Entwicklungen heute so ein enormes Tempo haben, daß wir gesamt kaum noch Adaptionesphasen finden, um uns mit Innovationen gut vertraut zu machen. Vieles wird derart schnell in unseren Alltag gestanzt, daß man außer Atem kommt.
Ich kann an Thaler bei meiner Neigung zur Geschichtsbetrachtung gleich eine ganze Ära festmachen. Der Mann, sein Schuppen, ein guter Werkzeugsatz. So hat im 19. Jahrhundert die Dampfmaschinenmoderne begonnen. So hat sich das ganze 20. Jahrhundert entfaltet.
Thaler war aktiv dabei, als eine besondere Zeitenwende anbrach. Die Ingenieure legten ihre Rechenschieber weg und nahmen programmierbare Taschenrechner zur Hand. Es war der Beginn der Digitalen Revolution, in der sich die Arbeitswelt und schließlich unser aller Leben völlig veränderte.
Ich hab solche Zusammenhänge auch mit Konstrukteur Markus Rudolf erörtert, der sein Archiv öffnete, um zum Thalers Achtziger ein paar kuriose Momente herauszukramen. Er ist mit all diesen Dingen aufgewachsen, denn sein Vater war der letzte Werksdirektor des Grazer Betriebs, als das Einser- und Zweierwerk noch aktiv mit dem Namen Puch assoziert wurden. (Der Puch G, 1979 auf den Markt gebracht, ist quasi ein letztes automobiles Zeugnis dieser Ära, danach verschwand das Wort Puch von den Fahrzeugen.)
Lebendes Kulturgut
Wie erwähnt vieles wurde seinerzeit nicht dokumentiert. Es gibt auch kein offizielles Puch-Archiv und mit der Übernahme der Grazer Werke durch Magna wurden wertvolle Unterlagen in alle Winde verstreut.
Daraus folgt so ganz nebenbei, daß Fredi Thaler mit seinen Erfahrungen, seinem Wissen und seinen historischen Dokumenten sozusagen lebendes Kulturgut ist. Von solchen Männern wurde die steirischer Erfolgsgeschichte in der Technik mitverfaßt. Diese Geschichte hat freilich schon in der Antike einzelne Vorläufer, wenn Sie etwa an Bergbau und Metallurgie denken.
Als Erzherzog Johann von Österreich in den Jahren 1815/1816 England bereiste und dabei auch James Watt besuchte, begannen Prozesse einer systematischen Wissensvermittlung und das Ausbilden benötigter Kräfte. Der steirische Prinz war sicher nicht aus sentimentalen Gründen volksnah, sondern weil er geistreiche und begabte Leute brauchte, um seinen Ideen nachzugehen. Die fand er eben da und dort in der Bevölkerung.
systematischen Wissensvermittlung. Johann Puch machte das zu seiner Zeit , indem er Lehrwerkstätten einrichtete, die vom Produktionsbetrieb getrennt waren. So wurden die nötigen Fachkräfte heranzogen.
Ich hab mehrere Generationen von Handwerkern und von Schraubern gesehen, die sich mit Thaler über anstehende Probleme beraten haben. Dieses unmittelbare Weitergeben von Know how ist nach meiner Überzeugung durch nichts ersetzbar.
Ich denke, Thalers pädagogisches Konzept läßt sich ungefähr so zusammenfassen: Kinder, die nichts dürfen, werden Erwachsene, die nichts können. Mir ist kein Beispiel von einem Konzept bekannt, das diesen Modus überflüssig machen würde.
Und Thaler? Müßte ich nun diesen Text mit seinen Details verdichten, zusammenfassen, auf einen Satz runterbrechen, womöglich auf ein Wort, was käme da heraus? Wer ihn kennt, wird mir vielleicht zustimmen. Das Wort lautet: Hingabe.
+) Die Mechanisierung der Welt (Übersicht)
+) Die Puch-Seite (Extrapost)
Postskriptum
Sie finden auf einem eigenen Albumblatt einige Motive, die Markus Rudolf aus seinem Archiv beigesteuert hat: „Notizen zu einem exzellenten Handwerker„.