Wie der Neofaschismus nach Gleisdorf kam? Ich bin von Menschen umgeben, die das ignorieren, wahlweise sogar in Abrede stellen.
Gut. Nehme ich zur Kenntnis. Aber es bleibt zu erzählen, was sich ereignet hat. Ich suche nach einer Möglichkeit, am Beispiel von Ereignissen im Raum Gleisdorf greifbar zu machen, wie sich der Neofaschismus in unserer Gesellschaft etabliert hat. Die beeindruckenden Mühen der Neuen Rechten haben Wirkung gezeigt. Dieser Neofaschismus hat eine verblüffende Alltagstauglichkeit entwickelt, kommt also nicht in braunen Hemden und Stiefeln daher.
Kleiner Einschub: ich zeige hier das Buch „Die Kultur der Lüge“, mit dem die heuer verstorbene Dubravka Ugresic am Beispiel Jugoslawiens gut nachvollziehbar dargestellt hat, wie sich die „Vierte Gewalt“ im Staat korrumpiert, um sich einem Regime anzudienen. Derlei Vorgänge wiederholen sich also seit über hundert Jahren. Weiter im Text…
Die Betonung liegt bei Neofaschismus übrigens auf „Neo-“, denn der historische Faschismus war nie weg, auch wenn die Originale an unbeugsamen Faschisten inzwischen alle unter der Erde liegen. Er wirkt aber heute in den Fundamenten, tritt nicht offen auf. Ich unterstreiche das, weil ich meine, der historische Faschismus und der Neofaschismus haben ganz unterschiedliche Kostüme, sprachliche Codes und subkulturelle Zusammenhänge. Es hat sich ein anderes Brauchtum entwickelt. Somit ist also etwas Neues da, was auf alten Prinzipien beruht und sich über die Jahrzehnte verfeinert hat.
Es gab zwischendurch Bewegungen, die sich als „Neonazi“ noch recht offen mit diesem historischen Faschismus assoziiert haben und teilweise die Patronanz alter Faschisten genossen. Solche Konzepte sind überflüssig geworden, weil sich – wie angedeutet – neue Formen entwickeln ließen. Das war auch nötig, um die Ahndung von Gesetzesverletzungen loszuwerden.
Zur Anschauung: Man kennt den Effekt, wenn etwa Andreas Khol, ein Altmeister des Christlichsozialen, angesichts verächtlicher Ausritte einer FPÖ-Kraft wieder einmal öffentlich wissen läßt: „Verstößt es gegen das Gesetz? Dann klagen Sie!“ Ansonsten müsse man diese und jene Unsäglichkeit im öffentlichen Diskurs hinnehmen.
Nein, muß man nicht! Aber eben deshalb verwendet die Neue Rechte elaborierte Codes, um Unsägliches sagen zu können, ohne klagbar zu sein. Schlau! Ich bin in derlei Dingen ja noch Old School. Aus meiner Familiengeschichte sind mir die Kategorien Täter und Mitläufer vertraut, denn ich bin mit Originalen des historischen Faschismus aufgewachsen, bin ein Insider solcher Zustände.
Kurzer Rückblick
Diese Kategorien (Täter und Mitläufer) brauche ich aktuell nicht mehr, weil ich uns heute in einer Art neuen „Normalität“ finde, die freilich jederzeit Pause machen kann, worauf Täterschaft Platz fände, um sich zu ereignen. In der aktuellen Mediensituation ordnen sich all diese Zusammenhänge völlig anders. Doch vorerst sehe ich eine geradezu operettenhafte österreichische „Normalität“, die von einer Gemengelage diverser Subkulturen getragen wird, quasi von einem Ozean des Möglichen.
Darin rudern und schippern Milieus, die ich vereinfacht darstellen will; in vier komplementär zueinander wirksamen Bereichen: 1: Die Zierfische, 2: die zeitlose SA, 3: die nächste Bourgeoisie und 4: die Junker. (Die SA war die „Sturmabteilung“ der NSDAP. Eine Art germanischer Hooligans.)
Ich erinnere mich gut, daß es in meiner unmittelbaren Umgebung keine einschlägigen Debatten gab, während dem Ungeheuerlichen ganz unterschiedliche Klärungsversuche gewidmet waren. Ab den 1970ern nahmen hitzige Auseinandersetzungen via Medien zu, wobei Hitlerismus und Stalinismus verglichen wurden. (Es stand Chinas Mao ebenso zur Debatte wie etwa Kambodschas Pol Pot.)
Es ging um Fragen zum Totalitarismus, vor allem auch darum, ob der Holocaust in der Menschheitsgeschichte einmalig sei (und damit auch „deutsch“), oder ob man ihn als eine von mehreren Ausdrucksformen totalitärer Systeme sehen könne. So hatte zum Beispiel Stalin vermutlich weit mehr Kommunisten umbringen lassen als Hitler.
All das gipfelte Mitte der 1980er Jahre im Historikerstreit, in der sogenannten Habermas-Kontroverse. Jürgen Habermas war eine der Hauptfiguren dieser Auseinandersetzung, Ernst Nolte sein prominentes Gegenüber. Ich kürze ab, denn diese Diskurse sind ihrerseits längst in der Geschichtsschreibung aufgegangen. Es gilt als geklärt, was das Wort Faschismus meint.
Für mich war dabei Historiker Immanuel Geiss eine wichtige Quelle von Denkanstößen. Während sich all das ereignete, setzte sich die Neue Rechte mit neuen Strategien und Sprachregelungen in vielen Bereichen europaweit durch. Sie etablierte sich in allen denkbaren Einrichtungen von Gesellschaften.
+) Diskurs: Demokratie (Übersicht)
+) Rechtsruck (Übersicht)
+) Eurasien (Übersicht)
Postskriptum
Ich bin der Überzeugung, daß wir hierzulande auch eine nennenswerte Anzahl an politischen Kräften mit Ämtern versehen haben, Leute, die man nach verfügbaren Kriterien als neofaschistisch einstufen muß. Ich erspare es mir aber konkrete Namen zu nennen, weil ich Klagsandohungen vermeiden möchte. Sie können nach vorliegenden Kriterien selbst zu einem Urteil kommen. Es sind die von Umberto Eco und seiner Auffassung eines Ur-Faschismus; siehe: „Gleisdorf: Betrachtungen #10“ vom 16.12.2021!