Offener Brief an exponierte Persönlichkeiten
der politischen Fraktionen Gleisdorfs.
Gleisdorf, 22.08.2022
„Ich klage an!“
Werte Dame und Herren!
Mit diesen Worten hat sich einst Schriftsteller Emile Zola exponiert, als er einen politischen Mißstand anprangern wollte. Aber wir sind nicht mehr im 19. Jahrhundert und das ist nicht Paris, sondern Gleisdorf. Ich sehe mich allerdings als Autor in jener Tradition von Emile Zola, wonach ich es zu meinen Aufgaben zähle, öffentliche Debatten mitzugestalten.
Genau das vermisse ich von Ihnen bezüglich der Gleisdorfer Unruhe. Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen befördern politische Botschaften, die im öffentlichen Raum via Lautsprecheranlagen verbreitet werden. Dabei Inhalte, die ich teilweise für Tatbestände halte.
Bürgerinnen und Bürger haben Ihnen Mandate verliehen, was zum Wesen einer repräsentativen Demokratie gehört, was Teil des Fundamentes unserer Republik ist. All das wird hier von manchen Vortragenden desavouiert. Sie aber, die Persönlichkeiten der Stadtpolitik, verzichten nicht seit Wochen oder Monaten, sondern inzwischen seit Jahren darauf, den öffentlichen Diskurs rund um die Gleisdorfer Unruhe mitzugestalten. Also rufe ich Ihnen im Geist von Emile Zola zu:
„Ich vermisse Sie!“
Ich vermisse Sie in öffentlichen Debatten, bei denen Einwände laut würden, mit denen einiges explizit zurückgewiesen wird, was hier unter den Augen der Behörde laut verkündet werden kann. Ich gebe Ihnen ein aktuelles Beispiel. Bei der Demonstration vom Sonntag, dem 21. August 2022, durfte ich hören und notieren, was unter Applaus verlautbart wurde. Zum Beispiel:
+) Der Hauptredner Christian Stoiber erzählte, er sei Gemeinderat von Stegersbach, verzichte aber auf die Teilnahme an Gemeinderatssitzungen weil er „lieber bei den Leuten“ sei. (Ein Mandatsträger verhöhnt also in aufrechter Funktion Institutionen der Republik, legt diese Funktion aber nicht zurück.)
+) Der Hauptredner Christian Stoiber betonte betreffs der Regierung: „Es wird Zeit, daß wir die absageln. Die gehören weg.“ (Absageln? Kein demokratisch legitimiertes Verfahren!)
+) Ich erfuhr, daß wir keine Politik bräuchten, die Verwaltung würde völlig reichen. (Das stellt sich umgehend die Frage, was diese Interessensgruppe von der Gewaltentrennung als einem Baustein im Fundament der Republik hält.)
+) Ich erfuhr, daß die Ärztinnen und Ärzte, von denen Corona-Impfungen verabreicht wurden, sich angeblich am „größten Menschenversuch der Geschichte“ beteiligt hätten, was nach dem Nürnberger Kodex aus den 1940er Jahren zu ahnden sei.
+) Diese Ärztinnen und Ärzte wurden via Lautsprecher explizit mit Mengele assoziiert, also mit dem NS-Verbrecher und Mörder Josef Mengele.
+) Der Hauptredner Christian Stoiber betonte in diesem Zusammenhang, er „möchte diesem Gesundheitssystem den Garaus machen“.
+) Hauptredner Stoiber betonte, daß er einem Verein angehöre, dessen Statuten so wirkmächtig seien, daß man es damit Ärzten und anderen Funktionstragenden noch zeigen werde… (Was wohl eine bewußte Irreführung des Publikums darstellt, weil undenkbar bleibt, daß Vereinsstatuten geltendes Recht oder geltende Verordnungen übersteuern könnten.)
+) Zitat Stoiber: „Die Staturen unseres Vereins geben uns so viel Macht, daß wir alles aushebeln.“
+) Einwurf Krusche: Solche und ähnlich Aussagen, die vorgeben, man könne sich seine eigenen Gesetze machen, zielen auf einen Staat im Staat. Das nennt man üblicherweise Mafia.
+) Ich erfuhr, daß man etwa eine Adventveranstaltung oder eine Silvesterfeier frei von allen Corona-Vorschriften abhalten könne, wenn man sie a) als Vereinsveranstaltung deklariere und b) in der Anmeldung nicht darauf vergesse, das Wort „Protest“ unterzubringen. Motto, ich zitiere: „Uhudler, tanzen, gemma, zack-zack-zack!“
+) Es gab einige abenteuerliche Aussagen zu medizinischen Fragen, wie etwa im Zusammenhang mit dem Thema „Ungeimpftes Blut für Ungeimpfte“, wozu der Verein angeblich gerade ein Projekt aufbaue, das ein in der Immobilien-Branche erfolgreicher Auslands-Weizer angeblich mit einem mehrstelligen Millionenbetrag unterstützen will. Bezüglich Operationen meinte Stoiber wörtlich: „Wenn ein Chirurg gut schneidet, braucht man ja kein Blut.“
+) Stoiber versprach mit Hinweis auf den Verein: „Wir schützen jeden Einzelnen.“
Würde derlei im geschlossenen Rahmen geschehen, hätte ich mit meinem Demokratieverständnis keinen Einwand, denn ich bin überzeugt, man muß alles denken und sagen dürfen. Wird es aber einem Publikum öffentlich vorgetragen, mit technischen Mitteln verstärkt und verbreitet, verlangt das nach Konsequenzen. (Das darf nicht die einzige Stimme im öffentlichen Diskurs bleiben!)
Welche Konsequenzen? Mindestens daß die Fraktionen im Rathaus sich in diesen öffentlichen Diskurs einbringen, Begegnungen und verfügbare Medien nutzen, um den vorgetragenen Merkwürdigkeiten etwas gegenüberzustellen. Das vermisse ich– wie erwähnt – seit Jahren. Ich wende mich an Sie mit dem Appell, in diesem Sinn aktiv zu werden und beizutragen, daß öffentliche Diskurse in Gleisdorf quer durchs Jahr von mehreren Stimmen gestaltet werden, nicht bloß von jenen.
Eines meiner Motive habe ich schon genannt. Ich sehe mich als Autor in der Tradition von Emile Zola und zähle es zu meinen Aufgaben, in öffentlichen Debatten mitzuwirken. Es gibt noch ein anderes, sehr politisches Motiv. Ich versuche es knapp zu fassen und darzulegen.
Mein Großvater Richard war ein Soldat des Kaisers. Mein Vater Hubert war ein Soldat des Diktators. Ich war ein Soldat der Republik. (Eine harte Lektion, das alles in einer Familie unterzubringen!) Das Heer, mächtiges Werkzeug des Gewaltmonopols eines Staates, ist immer ideologiebestimmt. Da machen mich manche Töne im Land nervös. Ich bin also ein Mann der Republik und finde es zynisch wie unerträglich, wenn jemand versucht, die Demokratie mit Mitteln der Demokratie abzuschaffen.
Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn ich Sie in dieser Frage als Verbündete ansehen und auch konkret handelnd erleben dürfte.
Mit freundlichen Grüßen!
Martin Krusche, Autor